a) Allgemeines
Rn. 23
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Mit der vorläufigen Kennzeichnung des Einkommens als Maß wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ist der einkommensteuerliche Einkommensbegriff noch nicht zureichend umschrieben. Insbesondere ist noch zu berücksichtigen:
- Bestimmte Vermögenszuwachsarten werden nicht erfasst (s Rn 24–29).
- Bestimmte Abzugsbeträge werden zusätzlich berücksichtigt (s Rn 30–33).
b) Ausgrenzung bestimmter Vermögenszuwachsarten
Rn. 24
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Nicht jeder (Rein-)Vermögenszuwachs soll erfasst werden, nicht jede Steigerung der Leistungsfähigkeit soll erfasst werden. Das wichtigste Ziel besteht daher darin, den einkommensrelevanten von dem nichteinkommensrelevanten Vermögenszuwachs zu trennen. Dazu sind insbesondere zwei Theorien wichtig:
ba) Die Reinvermögenszugangstheorie
Rn. 25
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Sie wurde von Georg von Schanz entwickelt (FinArch 13, 1; FinArch 39, 107). Sie definiert das Einkommen als Reinvermögenszuwachs während eines bestimmten Zeitraums. Sie umfasst grds jeden Vermögenszugang und schränkt diesen nur aufgrund Steuerkonkurrenz ein. Folgerichtig zählen Erwerbe von Todes wegen oder Schenkung unter Lebenden zum Einkommen. Sie unterliegen nur deswegen nicht der ESt, weil hier bereits ein Sondergesetz (ErbStG) eingreift. Die praktische Umsetzung dieser Theorie in dem EStG 1920 hat jedoch gezeigt, dass der Gesetzgeber sich mit den wenigen durch die Steuerkonkurrenz veranlassten Einschränkungen des Einkommensbegriffs nicht begnügen kann. Er muss aus dem Einkommen auch solche Vermögenszugänge ausgliedern, die kein anderes Gesetz besteuert. Die Schanzsche Theorie zieht zwar den Einkommensbegriff weit und sorgt für eine breite Bemessungsgrundlage der ESt. Es gelingt ihr jedoch nicht, ein brauchbares Kriterium für die außerhalb des Einkommensbegriffs bleibenden Vermögenszugänge anzugeben. Das EStG 1920 hatte in § 12 eine Liste von "nicht steuerbarem Einkommen" aufgeführt, die die Schanzsche Theorie nur schwer erklären kann und zugleich ihren Mangel aufzeigt (vgl auch die Nachweise bei Lang, Bemessungsgrundlage, 24 ff, 30 ff, 45ff).
bb) Die Quellentheorie
Rn. 26
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Sie wurde von Bernhard Fuisting formuliert (Die preußischen direkten Steuern IV, 1902, 107ff). Sie bestimmt das Einkommen als "die Gesamtheit der Sachgüter, welche in einer bestimmten Periode (Jahr) dem Einzelnen als Erträge dauernder Quellen der Gütererzeugung zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse für sich und für die auf den Bezug ihres Lebensunterhalts von ihm gesetzlich angewiesenen Personen (Familie) zur Verfügung stehen" (aaO, 110).
Fuisting nennt fünf Einkommensquellen: Geldkapital, Grundbesitz, Gewerbebetrieb, Arbeitstätigkeit und Hebungsrechte. Die Quellentheorie schränkt den Einkommensbegriff gegenüber der Reinvermögenszugangstheorie deutlich ein. Sie ist dieser zwar einerseits dadurch überlegen, dass sie mit dem Quellenbegriff ein einheitliches, wenn auch vages Kriterium für diese Einschränkungen angibt, während sich die Reinvermögenszugangstheorie nur ausgrenzen kann. Andererseits geht sie aber nach heute allgemein Meinung zu weit. Sie kann insbesondere einmalige Einnahmen idR nicht erfassen und wird auch der Bedeutung von Vermögenswertänderungen im betrieblichen Bereich nicht gerecht.
bc) Der Standpunkt des EStG
Rn. 27
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Aufgrund der Mängel beider Theorien hat es der Gesetzgeber seit 1925 vermieden, sich auf ein einheitliches gedankliches Konzept der Einkommensabgrenzung festzulegen (vgl Begründung zum EStG 1934, RStBl 1935, 34). Im Übrigen hat er die Regelungstechnik gegenüber dem EStG 1920 geändert. Statt wie dort mit einer weiten Einkommensdefinition zu beginnen und diese durch Ausnahmetatbestände einzuschränken, hat der Gesetzgeber einen Katalog von zurzeit sieben Einkunftsarten entwickelt und nur noch die aus diesen Einkunftsarten resultierenden Katalogeinkünfte für einkommensrelevant erklärt.
Rn. 28
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Im Grunde besteht seitdem ein Mischsystem (glA Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 36, Stand 13.03.2019):
Dieses Mischsystem (Zweiteilung) bezeichnet man als "Dualismus der Einkünfteberechnung" (BFH BStBl II 1994, 289). S Rn 71, 155ff.
bd) Markteinkommenstheorie
Rn. 29
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
In den letzten Jahrzehnten hat es zahlreiche Versuche gegeben, einen neuen einheitlichen steuerlichen Einkommensbegriff zu entwickeln (s Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 37, Stand 13.03.2019). Zu nennen ist insbesondere die sog Markteinkommenstheorie, entwickelt von Ruppe (Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Einkunftsquellen in Tipke (Hrsg), Übertragung von Einkunftsquellen im Steuerrecht, 1979, 7ff) im Anschluss an Neumark. Sie sieht in dem Einkommen das Ergebnis einer entgeltlichen Verwertung von Leistungen (WG oder Dienstleistungen) am Markt. Damit schließt sie den nicht am Markt erwirtschafteten Vermögenszuwachs (zB durch Schenkung, Erwerb von Todes wegen, Lotteriegewinn, staatliche Transferleistunge...