1. Die jährliche Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen – das Prinzip der Abschnittsbesteuerung
Rn. 358
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Mit der Steuer sind auch die Grundlagen für ihre Festsetzung jeweils für ein (Kalender-)Jahr zu ermitteln, da das Kj VZ ist (§ 25 Abs 1 EStG) – Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Diese Aussage macht die ESt zur Jahressteuer. Auch aus einzelnen Vorschriften ergibt sich dies zB:
Zur Durchbrechung des Prinzips der Abschnittsbesteuerung durch § 10d EStG s § 10d Rn 1 (Gassen).
Rn. 359
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Aus dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung ergeben sich insbesondere folgende Konsequenzen:
- Kein Vertrauensschutz: Die der Besteuerung zu Grunde liegenden Verhältnisse können bei Dauersachverhalten jedes Jahr neu geprüft werden (BFH BStBl II 1989, 363). Das Vertrauen des StPfl auf die Beibehaltung einer rechtsirrigen, ihm günstigen Verwaltungsmeinung wird nicht geschützt. Auch das BVerfG (zB HFR 1993, 544) hält es wegen des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung für unbedenklich, einen gleichartigen Sachverhalt in verschiedenen VZ unterschiedlich zu behandeln.
- Verhältnisse am Jahresende entscheiden: Für die endgültige Steuerentstehung entscheiden die Verhältnisse am Jahresende. Daraus folgt, dass das ESt-Recht vor Ablauf des VZ vorläufig ist (BVerfG BStBl II 1986, 628), das Jahresende ist nicht bloß technisch bedeutsam (zB für den Beginn der Festsetzungsverjährung, s § 170 Abs 1 AO).
- Außergewöhnliche Belastungen: Als außergewöhnliche Belastungen kann der StPfl nur solche Aufwendungen geltend machen, die sich auf das betreffende Kj beziehen, dh die er in diesem Kj bezahlt hat (wann das schädigende Ereignis war, ist belanglos); s § 11 Anh 1 "Außergewöhnliche Belastung" (Pust).
2. Die Rückwirkung von Steuergesetzen
a) Allgemeines
Rn. 359a
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Das BVerfG betont zum Thema "Verfassungsrecht und Rückwirkung belastender Gesetze" in st Rspr (BVerfGE 132, 302 mwN): Das grds Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf dem Prinzip der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Wenn der Gesetzgeber nachträglich belastend die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten. Zur Rückwirkung von Rspr-Änderungen des BFH s Hess, DStR 2021, 1905
b) Unterscheidung echte/unechte Rückwirkung
Rn. 359b
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Das BVerfG unterscheidet in ebenfalls st Rspr (zB BVerfGE 132, 302 mwN; s auch Kirchhof, DStR 2015, 717; Desens, FR 2013, 148; Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 23 ff, Stand 13.03.2019) zwei Arten der Rückwirkung:
(1) |
Echte Rückwirkung: Rechtsnorm greift nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein. Insbesondere gegeben, wenn die Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig. Bsp: Der Gesetzgeber ändert eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich. |
(2) |
Unechte Rückwirkung: Rechtsnorm wirkt auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet damit zugleich die betroffene Rechtsposition. Insbesondere gegeben, wenn belastende Rechtsfolgen erst nach Verkündung der Rechtsnorm eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung"), Die unechte Rückwirkung ist grds zulässig, allerdings begrenzt durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (weiter dazu unter s Rn 359c). Bsp: Der Gesetzgeber ändert für den laufenden VZ eine Norm des ESt-Rechts. Allerdings stellt das BVerfG für diesen Fall gesteigerte Zulässigkeitsvoraussetzungen auf, da sie einer echten Rückwirkung oft nahestehen können (s Rn 359e). |
c) Die Rspr des BVerfG zur unechten Rückwirkung im Steuerrecht
Rn. 359c
Stand: EL 159 – ET: 08/2022
Das BVerfG hatte sich bereits in drei Entscheidungen jeweils vom 07.07.2010
- Nr 1: BVerfG 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, DB 2010, 1858
- Nr 2: BVerfG 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, DB 2010, 1858
- Nr 3: BVerfG 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/96, 2 BvL 58/06, DB 2010, 1858
zum Thema "Verfassungsrecht und unechte Rückwirkung" in begrüßenswerter Weise geäußert und den Vertrauensschutz erheblich gestärkt (zustimmend auch Schmidt/Renger, DStR 2011, 693; Momen, BB 2011, 2781; Schönfeld/Häck, DStR 2012, 1725). Eine solche (= unechte) sei nicht grundsätzlich unzulässig, aber unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nur zulässig, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen enttäuschtem Vertrauen und Gewicht und Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe ...