ca) Verfassungsrecht

 

Rn. 16

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Im Bereich des ESt-Rechts wird die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft, insbesondere begrenzt durch (BVerfG, 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310, st Rspr; s auch Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 9, Stand 13.03.2019):

  • das Gebot der Folgerichtigkeit (dh bei der Ausgestaltung eines steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal vom Gesetzgeber getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig iS einer Belastungsgleichheit umgesetzt werden, Ausnahmen davon bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, etwa außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke; zB auch, dass endgültige Ford-Verluste im PV als Verlust anzuerkennen ist, wenn auch der Gewinn zu versteuern ist, BFH BStBl II 2020, 831 und s Rn 59) und
  • das Leistungsfähigkeitsprinzip, dh das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit.

Im Interesse einer steuerrechtlichen Lastengleichheit ergeben sich dazu zwei Komponenten (BVerfG 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310, st Rspr; s auch Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 9, Stand 13.03.2019):

  • horizontale Steuergerechtigkeit (dh, StPfl werden bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert)
  • vertikale Steuergerechtigkeit (dh, die Besteuerung höherer Einkommen muss im Vergleich mit der Belastung niedrigerer Einkommen angemessen sein).

Diese finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst sich nach dem Nettoprinzip (BVerfGE 122, 210 Rz 62; BVerfG BGBl I 2010, 1157 Rz 39; BFH X R 10/10, BFH/NV 2011, 977; Kirchhof, BB 2017, 662; Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 10, Stand 13.03.2019).

Dabei wird unterschieden zwischen

 
objektivem Nettoprinzip subjektivem Nettoprinzip
dh, von Erwerbseinnahmen sind die betrieblichen/beruflichen Erwerbsaufwendungen (= BA) abzuziehen dh, auch die privaten existenzsichernden Aufwendungen (Sonderausgaben, Familienleistungsausgleich, außergewöhnliche Belastungen) sind abzuziehen
dazu s Rn 16a16g dazu s Rn 33, 307, 329

cb) Das objektive Nettoprinzip

 

Rn. 16a

Stand: EL 159 – ET: 08/2022

Der Vorgang, der dem StPfl Einkommen verschafft, kann positiv oder negativ auf sein Vermögen wirken. Nur eine Gesamtbetrachtung aller aus demselben Vorgang herrührenden Vor- und Nachteile erklärt aber, ob tatsächlich die Leistungsfähigkeit gesteigert ist. Nur Nettozuflüsse können dies bewirken. Das Einkommen kann daher nur als Ergebnis einer Nettorechnung verstanden werden: die Vor- und Nachteile sind miteinander zu saldieren. Das ESt-Recht basiert auf einem objektiven (= die Vor- und Nachteile desselben wirtschaftlichen Vorgangs saldierenden) Nettoprinzip (st Rspr, BVerfGE 122, 210 Tz 62; BFH BStBl II 1995, 47; BFH X R 10/08, BStBl II 2010, 617; BFH X R 10/10, BFH/NV 2011, 977; BFH GrS 1/06, BStBl II 2010, 672).

 

Rn. 16b

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Auf Basis dieses objektiven Nettoprinzips definiert § 2 Abs 2 EStG den Gewinn/Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben als zu erfassende Einkünfte (BFH X R 10/08, BStBl II 2010, 617).

 

Rn. 16c

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Es handelt sich dabei um ein grundlegendes Ordnungsprinzip (BFH BStBl II 1987, 212). Das BVerfG hatte dabei stets offengelassen, ob es Verfassungsrang hat (BVerfGE 122, 210 Tz 63; BVerfG BGBl I 2010, 1157 Tz 40, mE zu bejahen, glA Lindberg in Frotscher/Geurts, § 2 EStG Rz 11, Stand 13.03.2019). Jedenfalls aber kann der Gesetzgeber dieses Prinzip bei Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (st Rspr, zB BVerfGE 122, 210 Tz 63; BVerfG BGBl I 2010, 1157 Tz 40). Schon das einfachgesetzliche objektive Nettoprinzip ist aber bedeutsam wegen der Anforderungen an eine hinreichende Folgerichtigkeit bei näherer Ausgestaltung gesetzgeberischer Grundentscheidungen (BVerfGE 122, 210 Rz 63; BVerfG BGBl I 2010, 1157 Rz 35, 40; BFH I R 9/11, BStBl II 2013, 512). Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der ESt gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (BVerfGE 122, 210 Rz 63; BVerfG BGBl I 2010, 1157 Rz 36, 40). Ein solcher Grund kann insbesondere liegen in (BVerfG BGBl I 2010, 1157 Rz 37):

  • außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken,
  • Typisierungs- und Vereinfachungserfordernissen,
  • nicht aber im rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung.
 

Rn. 16d

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Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips finden sich zB in

 

Rn. 16e

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Insbesondere zwei Entscheidungen des BVerfG zum objektiven Nettoprinzip...

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