Prof. Dr. iur. Claus Möllenbeck
Schrifttum:
Schumacher, Die Verfassungswidrigkeit der neuen Zinsbesteuerung, FR 1997, 1;
Djanani/Krenzin/Grossmann, Zu den Auswirkungen der Geldentwertung bei den Einkünften aus KapVerm, StuW 2014, 145;
Becker, Ökonomische Perspektiven auf die AbgSt, GmbHR 2018, 451.
Rn. 51
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
Nach ständiger Rspr des BFH beruht das deutsche Steuersystem auf dem Nominal- oder Nennwertprinzip, wonach die Einkünfte nach den nominellen Geldbeträgen, nicht aber nach den Realwerten ermittelt werden. Einnahmen und Ausgaben werden danach – unabhängig von ihrer zeitlichen Zuordnung – mit derselben Maßgröße erfasst. So können auch inflationsbedingte und damit nur scheinbare Wertsteigerungen der Besteuerung unterworfen werden (Rendite unterhalb der Inflationsrate). Die Berücksichtigung einer etwaigen Geldentwertung – Kaufkraftschwund – wird untersagt (bestätigt durch BFH v 30.04.1975, BStBl II 1975, 637). Das Begehren des StPfl, wegen der Geldentwertung den Nennbetrag der Erträge für Zwecke der Besteuerung um einen Abschlag zu kürzen, hat der BFH unter Hinweis auf die Bedeutung des Nominalprinzips zurückgewiesen (BFH v 27.07.1967, BStBl II 1968, 143; BFH v 12.06.1968, BStBl III 1967, 690 für Zinsen).
Wie das BVerfG in mehreren Beschlüssen ausgeführt hat, ist das Nominal- oder Nennwertprinzip ein nicht nur das Steuerrecht, sondern sämtliche Bereiche des Rechts- und Wirtschaftslebens prägender Grundsatz, an dem der Gesetzgeber ohne Verletzung des Gleichheitssatzes festhalten kann. Eine inflationsbedingte Geldentwertung ist demzufolge bei der Besteuerung der Einkünfte nicht zu berücksichtigen; die hierdurch bestimmte Substanzbesteuerung ist vom Gesetzgeber gewollt (zur Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung s BVerfG v 19.12.1978, BStBl II 1979, 308; BFH v 14.05.1974, BStBl II 1974, 572; BFH v 30.04.1975, BStBl II 1975, 637; BFH v 14.05.1974, BStBl II 1974, 582).
Das Nominalwertprinzip basiert auf dem Grundsatz "Mark = Mark" (EUR = EUR). Der BFH hält es wegen des Mark = Mark-Grundsatzes für nicht gangbar, den Begriff der Einkünfte oder der Zinsen wegen der Inflation iSv Realeinkünften auszulegen oder fortzubilden. Die Ansicht des BFH, dass die uneingeschränkte Besteuerung trotz Geldentwertung auch verfassungsgemäß sei, hat das BVerfG für den Bereich der Kapitaleinnahmen bestätigt, indem es festgestellt hat, dass die Besteuerung der Zinsen als Einlagen bei Kreditinstituten nach ihrem Nennwert nicht gegen das GG verstoße (BVerfG v 19.12.1978, BStBl II 1979, 308; BVerfG v 29.09.2015, BStBl II 2016, 310 Tz 51).
Dieser Rspr ist insoweit beizupflichten, als die Beseitigung einer inflationsbedingten Substanzbesteuerung nicht durch Gesetzesauslegung oder Rechtsfortbildung getragen werden kann, sondern vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers ist. Gleichwohl ist die Geldentwertung und die daran anknüpfende Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ein Problem aller Einkunftsarten und ein heftiger Diskussionspunkt in der Literatur (s dazu Hey, Steuerrecht zwischen Umverteilung und Standortpolitik, DStZ 2017, 632, 636; Englisch, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Sondersteuersatzes nach § 32d Abs 1 EStG nebst Abgeltungsregelung des § 43 Abs 5 EStG ("AbgSt") für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 04.03.2015, 67ff).
Rn. 52
Stand: EL 162 – ET: 12/2022
vorläufig frei