Dr. Peter Handzik, Edgar Stickan
Schrifttum (ab 2000):
Klobert, Die Steuerbarkeit von Drittleistungen beim LSt-Abzug am Bsp der Trinkgeldzahlung, DStR 2000, 231;
Bergkemper, Urteilsanmerkung zu BFH BStBl II 2007, 712, FR 2007, 977;
Wobst, Der Trinkgeldbegriff des § 3 Nr 51 EStG, DStR 2015, 868.
a) Allgemeines
Rn. 1890
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
§ 3 Nr 51 EStG befreit Trinkgelder, die dem ArbN von Dritten freiwillig und ohne Rechtsanspruch darauf gezahlt werden, von der ESt. Dabei ist die Befreiung ab VZ 2002 betragsmäßig unbegrenzt (Gesetz zur Steuerfreistellung von ArbN-Trinkgeldern vom 08.08.2002, BGBl I 2002, 3111). Damit soll die steuerliche Belastung im Niedriglohnsektor gesenkt sowie Vollzugsprobleme und Verwaltungsaufwand vermieden werden (BFH BFH/NV 2005, 2190).
Rn. 1891
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
Die Vorschrift ist konstitutiv, da freiwillige Trinkgelder zusätzlicher Arbeitslohn iSd § 19 Abs 1 Nr 1 EStG sind (BFH BStBl II 1974, 411; 1993, 117; BFH VI S 15/05, DStRE 2007, 593) und § 38 Abs 1 S 3 EStG auch den Arbeitslohn, der üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlt wird, dem LSt-Abzug unterwirft.
b) Verfassungsrecht
Rn. 1892
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
Verfassungsrechtlich unproblematisch ist, dass § 3 Nr 51 EStG nur ArbN begünstigt, dh, Trinkgelder an Selbstständige sind nicht steuerfrei (aA Levedag in Schmidt, § 3 EStG Rz 170, 41. Aufl 2022).
Rn. 1893
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
BFH BStBl II 1999, 361 entschied, dass – was mit § 3 Nr 51 EStG nur indirekt zu tun hat – die Besteuerung von Trinkgeldern (oberhalb des damaligen Freibetrags von DM 2 400 pa) nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstieß. Es sei nicht verfassungswidrig gewesen, wenn wegen Vollzugsdefiziten Trinkgelder in den einzelnen Branchen unterschiedlich erfasst würden. Gegen diese Meinung waren Bedenken zu erheben. Vollzugsdefizite bei der Zinsbesteuerung hatte bekanntlich BVerfGE 84, 239 nicht durchgehen lassen. Nachdem aber seit VZ 2002 Trinkgelder an ArbN unbeschränkt steuerfrei sind, ist diese Frage nicht mehr praxisrelevant.
Rn. 1893a
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
Gegen die seit VZ 2002 bestehende (s Rn 1890) unbegrenzt hohe Steuerbefreiung der Trinkgelder erhoben BFH BStBl II 2009, 820; BFH/NV 2009, 382 zu Recht erhebliche Bedenken, konnten die Frage aber dahinstehen lassen. Der BFH BStBl II 2015, 767; 2016, 751 versucht sich aus diesem Problem herauszuwinden, indem er darauf verweist, der Trinkgeldbegriff sei durch den allgemeinen Sprachgebrauch geprägt und erfasse "insbesondere" (?) die Zuwendungen an ArbN, bei denen Trinkgelder traditionell einen flankierenden Beitrag der Entlohnung darstellten.
c) Der Begriff des Trinkgeldes
Rn. 1893b
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
§ 107 Abs 3 S 2 GewO definiert das Trinkgeld als einen Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem ArbN zusätzlich zu einer dem ArbG geschuldeten Leistung zahlt. Wobst, DStR 2015, 868 will den Begriff auch für § 3 Nr 51 EStG übernehmen (dagegen aber Ross in Frotscher/Geurts, § 3 Nr 51 EStG Rz 2). Letztlich dürfte es auf diese Frage aber nicht ankommen.
Rn. 1893c
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
§ 3 Nr 51 EStG selbst enthält keine Legaldefinition, daher ist die Definition aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu übernehmen (BFH BStBl II 2015, 767; BFH/NV 2009, 382), dh keine Übernahme des gewerberechtlichen Begriffs (kritisch Wobst, DStR 2015, 868), obwohl sich dadurch wohl kaum praktische Unterschiede ergeben. Der BFH versteht darunter eine dem dienstleistenden ArbN vom Kunden oder Gast gewährte zusätzliche, freiwillige und typischerweise persönliche Zuwendung als eine Art honorierender Anerkennung seiner dem Leistenden gegenüber erwiesenen Mühewaltung in der Form eines kleineren Geldgeschenks (BFH VI S 15/05, DStRE 2007, 593 mit Anm Mit, DStRE 2007, 594; BFH BStBl II 2009, 820; 2015, 767; 2016, 751; BFH/NV 2009, 382; FG BdW DStRE 2009, 1161 rkr). Es gehöre zum Begriff des Trinkgelds, dass in einem nicht unbedingt rechtlichen, jedenfalls aber tatsächlichen Sinn Geldfluss und honorierende Leistung korrespondierend einander gegenüberstehen, weil die durch die Zuwendung "belohnte" Dienstleistung dem Leistenden unmittelbar zugutekommt (BFH VI S 15/05, DStRE 2007, 593 mit Anm Mit, DStRE 2007, 594; BFH BStBl II 2009, 820; 2015, 767; 2016, 751; BFH/NV 2009, 382). Trinkgelder sind Leistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung als persönliche Zuwendung aus einer bestimmten Motivationslage vom Dritten freiwillig erbracht werden (BFH BStBl II 2009, 820).
Rn. 1893d
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
Sog "Schmiergelder" sind mE keine Trinkgelder, da sie zu einem rechtswidrigen Verhalten veranlassen sollen (glA Ross in Frotscher/Geurts, § 3 Nr 51 EStG Rz 2).
d) Der Umfang der Steuerbefreiung
da) Zahlung an den ArbN durch einen Dritten
Rn. 1894
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
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Zahlender Zahlender muss ein "Dritter" sein, dh nicht der ArbG. Dadurch sollen Entgeltleistungen des ArbG von der Steuerfreistellung ausgeschlossen und die Ersetzung regulärer Lohnleistungen durch "Trinkgelder" verhindert und eine klare Abgrenzung zwischen Arbeitsentgelt und Trinkgeld gewährleistet werden (BFH VI S 15/05, DStRE 2007, 593 mit Anm Mit, DStRE 2007, 594; BFH BStBl II 2009, 820). Der "Dritte" mus... |