Dr. Peter Handzik, Edgar Stickan
1. Die systematische Stellung des § 3 EStG
a) Der grundlegende Systemaufbau
Rn. 1
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Der Systemaufbau des EStG bestimmt sich wie folgt:
Teil |
§§ |
Regelungsgegenstand |
Erläuterung dazu |
1 |
1, 1a |
Steuersubjekt |
Dh Frage der beschränkten oder unbeschränkten StPfl |
2 |
2–24b |
Steuerobjekt |
Dh Bestimmung des Einkommens |
3 |
25–28 |
Veranlagung |
Dh verfahrenstechnische Fragen |
Die weiteren Teile des EStG werden hier nicht näher erläutert.
b) Die Stellung des § 3 EStG bei der Ermittlung des Steuerobjekts
Rn. 2
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Der
- 1. Unterabschnitt des 2. Teils regelt die sachlichen Voraussetzungen für die Besteuerung. § 2 EStG enthält Begrifflichkeiten, § 2a EStG befasst sich mit negativen ausländischen Einkünften.
- 2. Unterabschnitt des 2. Teils befasst sich mit steuerfreien Einnahmen und enthält die §§ 3–3c EStG. Die Überschrift ist jedoch unvollständig: Zum einen enthält der 2. Unterabschnitt keine vollständige Aufzählung aller Steuerbefreiungen, zum anderen befasst sich § 3c EStG nicht mit steuerfreien Einnahmen bzw dem Teil-/Halbeinkünfteverfahren bzw nach § 3 Nr 70 EStG, sondern mit den damit unmittelbar wirtschaftlich zusammenhängenden BA oder WK.
- 3. Unterabschnitt befasst sich mit der einen Variante der Einkunftsermittlung (§ 2 Abs 2 Nr 1 EStG), dem Gewinn,
- 4. Unterabschnitt mit der zweiten Variante (§ 2 Abs 2 Nr 2 EStG), dem Überschuss der Einnahmen über die WK.
Rn. 2a
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Auf eine Darstellung weiterer Unterabschnitte wird verzichtet, sie ist zum Verständnis des § 3 EStG entbehrlich. Die vorherigen Ausführungen zeigen, dass der Gesetzgeber im Grundsatz zunächst negativ (§§ 3–3c EStG) und erst danach positiv (§§ 4–24b EStG) das Einkommen bestimmt.
2. Die Rechtsfolgen aus der systematischen Stellung des § 3 EStG
a) Voraussetzung des § 2 EStG
Rn. 3
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
§§ 3 und 3b EStG setzten systematisch voraus, dass nur die in § 2 Abs 1 Nr 1–7 EStG genannten Einkunftsarten der ESt unterliegen. Dass § 3 EStG zT auch nicht iSd § 2 EStG steuerbare Einkünfte steuerfrei stellt (also bloß deklaratorisch wirkt), ändert an diesem Grundsatz nichts, sondern zeugt vielmehr vom seit Langem bestehenden Reformbedarf der Vorschrift (kritisch deswegen Bergkemper, FR 1996, 509; Ross in Frotscher/Geurts, Einführung zu § 3 EStG Rz 3). Zu der Frage, inwieweit § 3 EStG daher bloß deklaratorisch oder aber konstitutiv ist, s Rn 10 und jeweils die Stellungnahmen bei den einzelnen Nrn des § 3 EStG.
b) Keine abschließende Regelung der Steuerfreiheit in § 3 EStG
Rn. 4
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
§ 3 – § 3b EStG regeln die Steuerfreiheit nicht abschließend. Sie beziehen sich nur auf die Stufe der Einkünfteermittlung (§ 2 Abs 2 EStG). Dass auf späteren Stufen (zB nach der Summe der Einkünfte, zum Begriff s § 2 Rn 35 ff, oder dem Gesamtbetrag der Einkünfte, zum Begriff s § 2 Rn 192ff) noch weitere Steuerfreistellungen erfolgen, ist davon zu unterscheiden.
3. Der Grund für die Steuerbefreiungen in § 3 EStG
Rn. 5
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Es gibt keinen allein verantwortlichen Grund für die Steuerbefreiungen in § 3 EStG. Beim Katalog der steuerfreien Einnahmen lässt sich der Gesetzgeber in erster Linie nicht von steuersystematischen, sondern von außerhalb des Steuerrechts liegenden Motiven leiten. Im Einzelnen sind folgende Beweggründe zu nennen, die sich im Einzelfall jedoch überschneiden können:
- sozialpolitische Erwägungen in § 3 Nr 1, 2, 3, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 11a, 11b, 11c, 28a EStG, § 3 Nr 14, 20, 23–25, 26 EStG (bezüglich Pflegetätigkeit), § 3 Nr 28, 43, 47, 48, 53, 57, 60–62, 65, 67, 69 EStG, zB die Sozialzweckfunktion des § 3 Nr 62 EStG bejahend (BFH BStBl II 2010, 194),
- Steuervereinfachungen in § 3 Nr 4 EStG (zT), § 3 Nr 12, 13, 16, 30–35, 45, 50, 51 EStG,
- Niedrighaltung öffentlicher Ausgaben in § 3 Nr 5 EStG (bzgl der Geld- und Sachbezüge), § 3 Nr 6, 8, 58 EStG,
- kulturpolitische Erwägungen in § 3 Nr 11 EStG (soweit die Bezüge der Erziehung und Ausbildung, der Wissenschaft oder Kunst dienen), § 3 Nr 26, 42, 44 EStG,
- Erleichterung der Haushaltsfinanzierung in § 3 Nr 18 EStG,
- sittliche Beweggründe in § 3 Nr 68, 69 EStG,
- Rücksichtnahme auf internationale Gepflogenheiten in § 3 Nr 29 EStG,
- wirtschaftspolitische Zielsetzungen in § 3 Nr 40, 40a, 41, 53, 54, 59, 70, 71 EStG,
- Steuergerechtigkeit in § 3 Nr 64 EStG,
- Begünstigung der LuF in § 3 Nr 17, 27 EStG,
- Förderung der Elektromobilität in § 3 Nr 46 EStG,
- Umweltschutz in § 3 Nr 15, 37, 72 EStG,
- Förderung der Ehrenamtstätigkeit in § 3 Nr 26, 26a, 26b EStG,
- Begünstigung von ArbN in § 3 Nr 11a, 11b, 11c, 31, 32, 33,34, 34a, 39, 45, 46 EStG,
- Förderung der Entwicklungshilfe in § 3 Nr 61 EStG,
- Abmilderung der Folgen der Corona-Krise und der Inflation in § 3 Nr 11a, 11b, 11c, 28a EStG.
4. Der gescheiterte Versuch einer Systematisierung des § 3 EStG
Rn. 6
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
In der Gesetzgebung der Nachkriegszeit gab es iRd Entwurfs eines 3. SteuerreformG (vom 09.01.1974, BT-Drucks 7/1470, 14) in Art 1 § 6 einen Versuch, den Regelungsinhalt des § 3 EStG sachlich zu gliedern. Diese Regelung wurde jedoch nicht Gesetz. So ist § 3 EStG ein unsystematisches Durcheinander geblieben (Ross in Frotscher/Geurts, Einführung zu § 3 EStG Rz 3). Für einen Reformbedarf auch bereits Bergkemper, FR 1996, 509. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass sich in absehbarer Zeit daran (Stand Februar 2023) etwas ändert.