1. Horizontale Besteuerungsgleichheit und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit
Rn. 101
Stand: EL 176 – ET: 10/2024
§ 32 EStG stellt die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von StPfl mit Kindern gegenüber solchen StPfl ohne Kinder her. Der Aufwand, der durch den Unterhalt für Kinder zwangsläufig entsteht, mindert die Leistungsfähigkeit der Eltern. Art 6 Abs 1 und 2 GG gebietet, dass der Staat nur das Einkommen der Besteuerung unterwirft, das den Eltern nach Abzug der kindbedingten Mehraufwendungen verbleibt (BVerfG v 10.11.1998, 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182).
Entsprechend dem progressiven ESt-Tarif bewirkt der Kinderfreibetrag bei höheren Einkommen eine dementsprechende höhere steuerliche Entlastung. Dies stellt jedoch keine steuerliche Besserstellung der Eltern mit höherem Einkommen dar, sondern ist verfassungsrechtlich geboten. In Höhe der kindbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern darf deren Einkommen nicht der bei einem progressiven ESt-Tarif ansteigenden Steuerbelastung unterliegen. Ansonsten wäre die horizontale Besteuerungsgleichheit zwischen StPfl mit Kindern und StPfl ohne Kinder verletzt (vgl BVerfG v 10.11.1998, 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182).
Aus diesem Grunde ist ein Abzug von bedarfsorientierten Freibeträgen nach der Art eines Grundfreibetrags mit dem Eingangssteuersatz ausgeschlossen. Die Berücksichtigung der kindbedingten Belastungen kann nicht tarifunabhängig in einer eigenen Vorschrift außerhalb des eigentlichen Tarifs erfolgen, vgl Droege in K/S/M, § 32 EStG Rz A 86 (04/2021); Arndt/Schumacher NJW 1999, 1689; Heuermann, BB 1999, 660; Kirchhof, NJW 2000, 2792, 2794. Im Übrigen bewirkt die Steuerfreiheit des Kindergeldes bei einem progressiven ESt-Tarif ebenfalls Entlastungsunterschiede, wie sie beim Abzug eines Kinderfreibetrags entstehen, vgl Kirchhof, NJW 2000, 2792; Droege in K/S/M, § 32 EStG Rz A 86 (04/2021).
Rn. 102
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Die kindbedingten Mehraufwendungen setzen sich aus dem sächlichen Existenzminimum des Kindes (s Rn 104) und dem Betreuungs- und dem Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf zusammen (s Rn 130 und s Rn 150).
Rn. 103
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Zu den Aufwendungen der Eltern für die private Krankenversicherung ihrer Kinder und deren steuerliche Berücksichtigung vgl BVerfG v 13.02.2008, 2 BvL 1/06, BFH/NV 2008 Beilage 3, 228.
2. Das sächliche Existenzminimum des Kindes
Rn. 104
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Das sächliche Existenzminimum des Kindes bemisst sich nach dem nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen zu ermittelnden tatsächlichen Bedarf, der die Sozialhilfeleistungen zwar über-, jedoch nicht unterschreiten darf, vgl BVerfG v 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BStBl II 1999, 174. Der Gesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen mindestens das steuerfrei belassen, was einem Bedürftigen aus öffentlichen Mitteln zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs zur Verfügung steht.
Der Wohnbedarf des Kindes bemisst sich nicht nach der Pro-Kopf-Methode, sondern nach dem Mehrbedarf, vgl BVerfG v 10.11.1998, 2 BvL 42/93, BStBl II 1999, 174. Da regionale Preisunterschiede auf dem Wohnungsmarkt durch das Wohngeld ausgeglichen werden, ist nach BVerfG v 25.09.1992, 2 BvL 5/91 ua, BStBl II 1993, 413, 419 eine Differenzierung des Kinderfreibetrags unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede nicht erforderlich. Die Höhe des jeweiligen sächlichen Existenzminimums ist den Berichten über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien zu entnehmen, BT-Drs 13/9561; 14/1926; 15/2462; 16/3265; 16/11056.
Nach dem 8. Existenzminimumbericht v 30.05.2011 (BT-Drs 17/5550) beträgt der Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes aus § 32 EStG in 2012 EUR 4 272; nach dem 9. Existenzminimumbericht v 07.11.2012 (BT-Drs 17/11425) EUR 4 440 in 2014; dieser Betrag unterschreitet zwar den verdoppelten Kinderfreibetrag iHv EUR 4 368, der Bedarf für Bildung und Teilhabe iHv EUR 228, der in die Berechnung des sächlichen Existenzminimums einfließt, könnte jedoch auch dem Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung zugeordnet werden, Selder in Brandis/Heuermann, § 32 EStG Rz 7 (02/2023), so zutreffend BFH v 19.03.2014, III B 74/13, BFH/NV 2014, 1032.
Nach dem 10. Existenzminimumbericht v 30.01.2015 (BT-Drs 18/3893) beläuft sich das sächliche Existenzminimum des Kindes auf EUR 4 512 im VZ 2015 und EUR 4 608 im VZ 2016.
Nach dem 11. Existenzminimumbericht v 02.11.2016 (BT-Drs 18/10220) beträgt das sächliche Existenzminimum eines Kindes im Jahr 2018 EUR 4 788.
Nach dem 12. Existenzminimumbericht v 09.11.2018 (BT-Drs 19/5400) beträgt das sächliche Existenzminimum eines Kindes im Jahr 2019 EUR 4 886 und im Jahr 2020 EUR 5 004. Nach dem 13. Existenzminimumbericht v 26.10.2020 (BT-Drs 19/22800) beläuft sich das sächliche Existenzminimum eines Kindes im Jahr 2021 auf EUR 5 412 und im Jahr 2022 auf EUR 5 460.
Nach dem 14 Existenzminimumbericht v 02.11.2022 (BT-Drs 20/4443, 10) beläuft sich das sächliche Existenzminimum eines Kindes im Jahr 2024 auf EUR 6 384.
Rn. 105
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Grundlage für d...