1. Die Besteuerung von ArbN gegenüber Beziehern von Lohn- bzw Einkommensersatzleistungen
Rn. 52
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Dass Lohn- bzw Einkommensersatzleistungen (hier entschieden für Arbeitslosengeld) dem Progressionsvorbehalt unterworfen werden, ist verfassungsgemäß (BVerfG BStBl II 1995, 758; BVerfG BB 1995, 1624; BFH BStBl II 2001, 778; 1988, 674; 2009, 376; FG Nds EFG 1986, 238 rkr; FG Münster EFG 1990, 110 rkr; FG Ha DStRE 2001, 740 rkr). Es werden – so das BVerfG – die Bezieher von Lohnersatzleistungen nicht in gleichheitswidriger Weise höher besteuert als ArbN. Der Progressionsvorbehalt berücksichtige die Leistungsfähigkeit des StPfl (s Rn 6) zutreffend (BFH BStBl II 2009, 376). Er sei wirtschaftlich leistungsfähiger als solche StPfl, die in gleicher Höhe Einkünfte ohne Lohn- bzw Einkommensersatzleistungen bezögen.
Rn. 53
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Der Gesetzgeber (BT-Drucks 9/842, 67; s auch BVerfG BB 1995, 1624; BFH BStBl II 1988, 674) führte aus, dass bei Arbeitslosen durch den Progressionsvorbehalt die Bereitschaft zur möglichst raschen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit gefördert werden soll.
2. Keine umfassende Einbeziehung aller Lohn- bzw Einkommensersatzleistungen
Rn. 54
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Die Rspr (BVerfG BStBl II 1995, 758; BVerfG BB 1995, 1624; BFH BStBl II 1988, 674; 2009, 376; FG Brandenburg EFG 1994, 44 rkr) sieht keinen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG darin, dass lediglich einzelne Lohn- bzw Einkommensersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden. Diese Aussage wird man nicht generell teilen können.
Rn. 55
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Eine Erweiterung des Katalogs nach § 32b Abs 1 Nr 1 EStG durch das StReformG 1990 (v 25.07.1988, BGBl I 1988, 1093) war ebenfalls nicht verfassungswidrig (BFH BStBl II 1988, 674). Der Gesetzgeber könnte daher weitere, bisher nicht erfasste (s Rn 3) Lohn- und Einkommensersatzleistungen in den Progressionsvorbehalt einbeziehen. Umgekehrt wird man es ihm angesichts seines weiten Gestaltungsspielraums auch zubilligen müssen, einmal Leistungen aus dem Katalog herauszunehmen.
Rn. 55a
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Unterhaltsgeld aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Landesmitteln ergänzte Leistungen
(1) |
Unterhaltsgeld aus dem ESF: Dieses war nach § 3 Nr 2 EStG aF steuerfrei (bis einschließlich VZ 2014, s § 3 Rn 90 (Handzik)) und seit VZ 1998 in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen (eingefügt durch 1. SGB-III-ÄnderungsG v 16.12.1997, BGBl I 1997, 2970). Ab VZ 2015 ist dieses stpfl (s § 3 Rn 90 (Handzik)) und die Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt sinnlos. Das G zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (v 25.07.2014, BGBl I 2014, 1266) erwähnte durch die Neufassung des § 32b Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG in seinem Art 3 Nr 3 dieses aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gewährte Unterhaltsgeld nicht mehr (s BT-Drucks 18/1529, 64f), anzuwenden ab VZ 2015 (Art 3 Nr 8 des G = § 52 Abs 1 S 1 EStG idF des G); |
(2) |
Aus Landesmitteln ergänzte Leistungen zum ESF zur Aufstockung des Überbrückungsgeldes: Die aus Landesmitteln ergänzten Leistungen aus dem ESF zur Aufstockung des Überbrückungsgeldes nach § 55a AFG/§§ 57, 58 SGB III waren steuerfrei nach § 3 Nr 2 EStG aF (bis einschließlich VZ 2014, s § 3 Rn 90 (Handzik)) ohne Anwendung des Progressionsvorbehalts und sind seitdem stpfl. Im Gegensatz zu (1) war somit seit 2015 wegen Nichterwähnung im Katalog des § 32b Abs 1 Nr 1 EStG auch dessen Herausnahme aus demselben entbehrlich. |
Die bis 2014 bestehende Ungleichbehandlung Progressionsvorbehalt beim Unterhaltsgeld aus dem ESF, nicht aber bei den aus Landesmitteln ergänzten Leistungen, ist damit beseitigt.
3. Die Behandlung des Mutterschaftsgeldes durch § 32b Abs 1 Nr 1 EStG
Rn. 56
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Der Gesetzgeber war sich der verfassungsrechtlichen Problematik der unterschiedlichen Behandlung von Mutterschaftsgeld nach unterschiedlichen Vorschriften vor dem 29.12.2007 (teils Progressionsvorbehalt, nicht jedoch solches nach – dem inzwischen aufgehobenen – § 200 RVO) offenbar bewusst und fügte mit Wirkung ab 29.12.2007 (= Tag nach Inkrafttreten des JStG 2007, s dessen Art 28 Abs 1) in § 32b Abs 1 Nr 1 Buchst b EStG "nach der RVO" ein (Art 1 Nr 11a des G). Beschönigend formuliert es die Gesetzesbegründung (s BT-Drucks 16/6290, 56), es werde dadurch "klargestellt"(!), dass dadurch auch Mutterschaftsgeld, das auch heute noch aufgrund der RVO gezahlt wird, in den Progressionsvorbehalt einbezogen wird. Damit ist seitdem die verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung beseitigt.
4. Die Unterschiede zwischen § 32b Abs 2 Nr 1 u 2 EStG
Rn. 57
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Beachte die unterschiedlichen Bezugspunkte bei § 32b Abs 1 Nr 1 u 2–5 EStG:
Dieser unterschiedliche Anknüpfungspunkt ist nicht verfassungswidrig (BFH BStBl II 1988, 674).
5. Der Progressionsvorbehalt beim Organträger (§ 32b Abs 1a EStG)
Rn. 57a
Stand: EL 150 – ET: 04/2021
Gegen § 32b Abs 1a EStG (anzuwenden ab VZ 1999, § 52 Abs 1 EStG idF StEntlG 1999/2000/2002, ausführlich s Rn 75a...