A. Grundlagen
Rn. 490
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Auf Antrag des StPfl werden die Abs 1, 3 und 4 des § 32d EStG suspendiert (§ 32d Abs 6 S 1 EStG). Stattdessen werden die Kapitaleinkünfte nach § 20 EStG den Einkünften nach § 2 EStG hinzugerechnet und der tariflichen ESt des § 32a EStG unterworfen. "Hauptanwendungsfall" hierfür sind positive KapErtr. Das schließt es jedoch nicht zwingend aus, auch negative KapErtr dem zvE hinzuzurechnen (BFH vom 30.11.2016, VIII R 11/14, BStBl II 2017, 443 Rz 41).
§ 20 Abs 6 EStG bleibt jedoch als Sperre für Verlustausgleich und Verlustabzug zu beachten (BFH vom 30.11.2016, VIII R 11/14, BStBl II 2017, 443 Rz 43 ff; s § 20 Rn 1500ff (Möllenbeck))).
Dies gilt jedoch nur, wenn die Belastung mit tariflicher ESt einschließlich Zuschlagsteuern geringer ist als die AbgSt nach § 32d Abs 1 EStG. Diese "Günstigerprüfung" ist – auf den Antrag des StPfl hin – von Amts wegen durchzuführen (AbgSt-E BMF BStBl I 2022, 742 Tz 150). Sollte sie zu einem negativen Ergebnis führen, "gilt der Antrag als nicht gestellt" (AbgSt-E BMF BStBl I 2022, 742 Tz 150).
Zu den Effekten des Gesetzes zur Rückführung des SolZ 1995 vom 10.12.2019 (BGBl I 2019, 2115) bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften und der Vorteilhaftigkeit einer Veranlagung dieser Einkünfte s Broer, DB 2019, 2461.
Rn. 491
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Günstigerprüfung hat zum Ziel, eine Übermaßbesteuerung des StPfl durch die AbgSt gegenüber der Einbeziehung in die tarifliche ESt zu vermeiden. Der BFH sieht sie
Zitat
"… als Billigkeitsmaßnahme …, mit der StPfl, deren Steuersatz noch niedriger liegt als 25 %, eine weitere Begünstigung erfahren"
(BFH vom 28.01.2015, VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393 Rz 17; s auch BFH vom 30.11.2016, VIII R 11/14, BStBl II 2017, 443 Rz 41).
Rn. 492
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung hat der BFH bejaht (BFH vom 28.01.2015, VIII R 13/13, BStBl II 2015, 393; dazu Weiss, NWB 2016, 334). Gegenüber StPfl, die nach § 32d Abs 1 EStG besteuert würden, sei die Günstigerprüfung zumindest keine Schlechterstellung. Gegenüber denjenigen StPfl, die aufgrund zwingender oder antragsgebundener Ausnahmen von der AbgSt nach § 32d Abs 2 EStG ihre WK geltend machen könnten, sei die Differenzierung gerechtfertigt (BFH aaO, Rz 16ff).
Rn. 493
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In § 20 Abs 3a S 2 EStG nennt das Gesetz selbst einen Anwendungsfall für § 32d Abs 6 EStG (auch s Rn 45a).
Rn. 494–499
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
vorläufig frei
B. Antragstellung
Rn. 500
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Günstigerprüfung wird durch einen Antrag des StPfl initiiert. Über eine Frist für die Antragstellung sagt das Gesetz in § 32d Abs 6 EStG – im Gegensatz etwa zu § 32d Abs 2 Nr 3 EStG – nichts aus (Weiss, NWB 2016, 334, 342). Daher handelt es sich nach Auffassung des BFH bei dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs 6 EStG um ein unbefristetes Wahlrecht, das bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann (BFH vom 14.07.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92 Rz 19, 20; BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 14; allgemein AEAO vor §§ 172–177 Rz 8.5.2.).
Der Antrag auf Günstigerprüfung kann bis zur Unanfechtbarkeit des betreffenden ESt-Bescheides gestellt werden bzw solange eine Änderung nach den Vorschriften der AO (zB § 164 Abs 2 AO) oder den Einzelsteuergesetzen möglich ist (so auch AbgSt-E BMF BStBl I 2022, 742 Tz 149; allgemein AEAO vor §§ 172–177 Rz 8.5.1.).
Für eine mögliche Änderung eines Steuerbescheids muss allerdings dann das "allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft" und die Regelung des § 351 Abs 1 AO beachtet werden (BFH vom 26.09.2023, VIII R 10/21, BFH/NV 2024, 5 Rz 14), somit bspw die Restriktion des § 173 Abs 1 Nr 2 AO beachtet werden. Danach kommt eine Änderung nur in Betracht, wenn den StPfl an dem nachträglichen Bekanntwerden von abgegolten besteuerten Kapitaleinkünften kein grobes Verschulden trifft (BFH vom 12.05.2015, VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; Weiss, AO-StB 2015, 288; Sikorski, NWB 2016, 621, 625 kritisiert die Abweichung von der üblichen Praxis bei der Unterscheidung zwischen Nr 1 und Nr 2 des § 173 Abs 1 AO; dazu AEAO zu § 173 Rz 1.4.); zur Saldierung bei "unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang" nach § 173 Abs 1 Nr 2 S 2 AO s FG BBg vom 30.01.2020, 4 K 4105/18, EFG 2020, 535. Zum Verhältnis der Günstigerprüfung zu § 46 Abs 2 Nr 8 EStG ("Antragsveranlagung") s FG Nürnberg vom 20.07.2023, 8 K 1062/22, EFG 2023, 1234; Rev BFH VI R 17/23; Weiss, DStRK 2023, 270.
Rn. 500a
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Als Änderungsnorm iSd § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst d AO kommt ua § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO ("rückwirkendes Ereignis") in Betracht; als weitere Folge des rückwirkenden Ereignisses ist die Anlaufhemmung des § 175 Abs 1 S 2 EStG für die Festsetzungsfrist zu beachten (s auch zur Anlaufhemmung für die Vollverzinsung § 233a Abs 2a AO).
Die Antragstellung nach § 32d Abs 6 S 1 EStG selbst – ohne den Erlass eines geänderten Steuerbescheids – stellt kein rückwirkendes Ereignis dar (BFH vom 26.09.2023, VIII R 1...