a) Bisherige Rspr und hM
Rn. 100
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Keine ag Belastung war nach bislang st Rspr und hM im Allgemeinen anzunehmen, wenn dem StPfl durch die Aufwendungen ein entsprechender Vermögenswert zuwuchs (vgl Brockmeyer, DStZ 1998, 215 mwN; Loschelder in Schmidt, § 33 EStG Rz 14, 40. Aufl; aA Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 40, Dezember 2020; nun offen gelassen BFH BStBl II 2011, 1012). Es fehlte dann am Erfordernis der Belastung des StPfl.
Das BVerfG hatte diese Gegenwerttheorie mit dem GG für vereinbar erklärt (BVerfG BStBl III 1967, 106). Aus dieser Erwägung heraus lehnte der BFH BStBl III 1953, 126 auch zu Recht die Aufwendungen zur Anschaffung einer Ehewohnung als ag Belastung ab. Überhaupt stellten nach Ansicht des BFH BStBl III 1959, 171 Aufwendungen zur Erlangung einer Wohnung keine ag Belastungen dar, da der StPfl als Gegenwert eine günstige Wohnung erlangt habe; gegen die Anerkennung von Baukostenzuschüssen als ag Belastung: BFH BStBl III 1960, 309; aA jedoch FG Ha EFG 1960, 62.
Die Anerkennung als ag Belastung von Beerdigungskosten, die der Erbe für die Beisetzung des Erblassers aufwendet, lehnte der BFH (HFR 1961, 148) ebenfalls mit dem Hinweis darauf ab, dass den Erben in Form des Nachlasses ein Vermögensgegenwert zugeflossen sei; wegen Beerdigungskosten für den Ehemann: BFH BStBl III 1962, 31; wegen Aufwendungen zur Abwehr der Rückerstattung: BFH BStBl III 1956, 84 mit dem Hinweis, es handele sich um Vorgänge in der bloßen Vermögenssphäre.
Aufwendungen für den Einbau eines Aufzuges waren wegen des Gegenwertes stets keine ag Belastung (BFH BFH/NV 2007, 701). Auch der behindertengerechte Umbau eines Badezimmers führte nach bisheriger Ansicht des BFH wegen des Gegenwertes nicht zu einer ag Belastung (BFH BFH/NV 2006, 931; 2007, 891).
b) Rspr-Änderung des BFH
Rn. 100a
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Der BFH änderte jedoch seine Rspr hierzu in neueren Entscheidungen (BFH BStBl II 2010, 280; 2011, 1012; BFH/NV 2011, 1691). So stehe behinderungsbedingter Mehraufwand bei den Baumaßnahmen so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund trete. Es komme auch nicht darauf an, ob die Behinderung auf einem vorhersehbaren Ereignis beruhe und deshalb eine schnelles Handeln des StPfl oder seiner Angehörigen geboten sei. Es komme auch nicht darauf an, ob die Mehraufwendungen im Rahmen eines Neubaus, bei der Modernisierung eines Altbaus oder im Rahmen eines Umbaus einer selbstgenutzten Immobilie erfolgten. Der BFH führt damit seine Rspr-Änderung, die er mit seiner Entscheidung v 22.10.2009 (BFH BStBl II 2010, 280) begonnen hatte, fort.
Im Urteil v 24.02.2011 (BFH BStBl II 2011, 1012) hatten die Kläger alle Kosten für die Modernisierung des abgetrennten Wohnbereichs für die behinderte Tochter als ag Belastungen angesetzt. Der BFH ließ aber nur die Aufwendungen zum Abzug zu, die zur behindertengerechten Ausgestaltung des Objekts erforderlich waren. Hierzu zählten nach seiner Ansicht auch die darauf entfallenden Schuldzinsen. Da die Sache an das FG zurückverwiesen worden war, hatte der BFH dem FG auferlegt, für die Quantifizierung ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn der Anteil der behinderungsbedingten Mehrkosten nicht offenkundig ist.
c) Folgen des Rspr-Wandels
Rn. 100b
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Die neue Rspr hat in Zukunft zur Folge, dass zumindest bei behinderungsbedingten Mehraufwendungen einer Baumaßnahme diese als ag Belastungen geltend gemacht werden können (bestätigt durch BFH BFH/NV 2011, 1691; dies gilt jedoch nicht für den Erwerb eines Baugrundstücks, das mit einem behinderungsgerechten Bungalow bebaut werden soll, BFH BStBl II 2014, 931; zum behinderungsgerechten Umbau eines Gartens des schwerbehinderten Eigentümers eines Einfamilienhauses mit Garten s FG Münster EFG 2020, 454, Rev eingelegt Az VI R 25/20). Die Frage des Gegenwerts spielt nach Auffassung des VI. Senats "in Anbetracht der Gesamtumstände" keine Rolle mehr. Auch die Finanzierungskosten können abgezogen werden, soweit sie auf den Aufwand entfallen. Nach der Entscheidung v 24.02.2011 scheinen auch behinderungsbedingte Aufwendungen für den Einbau eines Fahrstuhls abzugsfähig zu sein, obwohl darin ein "realer Gegenwert" zu sehen sein dürfte (anders die Beurteilung eines Treppenschräglifts, s FG BdW EFG 2011, 1423).
Aufwendungen für Frauenkleidung können wegen des erlangten Gegenwertes auch dann nicht als ag Belastung anerkannt werden, wenn sie dem StPfl aus Anlass seiner Geschlechtsumwandlung entstanden sind (FG Mchn EFG 2000, 872).
Rn. 101
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Zweifelhaft erscheint, ob durch Aufwendungen auch dann ein Gegenwert erlangt wird, wenn dieser nicht unmittelbar durch die Aufwendung erworben wird, sondern erst in der Zukunft damit gerechnet werden kann. Insoweit ist es fraglich, ob den aufgewandten Studienkosten Gegenwerte gegenüberstehen, was mE abzulehnen ist (dazu BFH DB 1959, 476; BFH BStBl III 1964, 330; HFR 1998, 461).