a) Frühere Rspr des BFH
Rn. 33
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Der StPfl muss die Tatsachen für das Vorliegen der ag Belastung nachweisen oder glaubhaft machen; an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich (BFH BStBl II 1974, 736; 1978, 338). Nach früherer Auffassung der Verwaltung und Rspr galten strenge Nachweispflichten (s zB BFH BStBl II 1981, 711 betreffend Frischzellenbehandlung; BFH BStBl II 1988, 275 betreffend Heilkur; BFH BStBl II 2001, 543 betreffend Ayur-Veda-Behandlung und BFH BFH/NV 2008, 368 betreffend Delfintherapie). Es waren in vielen Fällen amts- oder vertrauensärztliche Gutachten bzw Atteste erforderlich, die von vornherein ausgestellt werden mussten. Ebenso konnte ein amtliches technisches Gutachten erforderlich sein, wenn wegen konkreter Gesundheitsgefährdung eine Sanierung eines Grundstücks vorgenommen werden sollte (BFH BFH/NV 2008, 937).
b) Neuere Rspr des BFH
Rn. 34
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Die an dieser Stelle punktuell und auch sonst allgemein in der Literatur geäußerte Kritik an dem Erfordernis eines amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw Attest wurde von der Rspr des BFH aufgegriffen und führte zu einer Neuorientierung bei den Nachweispflichten. So hatte der BFH seine Rspr geändert. In seinen Urteil v 11.11.2010 wich er von diesen strengen Anforderungen ab (BFH BStBl II 2011, 969; 2011, 966). Nach Auffassung des VI. Senats des BFH ergibt sich aus dem Gesetz keine derartigen Nachweispflichten und es widerspreche dem in § 96 Abs 1 S 1 FGO geregelten Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Der StPfl musste somit zur Überzeugung des Gerichts den Nachweis für die ag Belastungen erbringen.
Dies hatte zur Folge, dass der StPfl das Risiko für den Nachweis ag Belastungen trug. Sollte eine Nachweisvorsorge durch ein amtsärztliches Attest nicht betrieben worden sein, hätte im finanzgerichtlichen Verfahren ein Sachverständigengutachten erforderlich sein können, das im Nachhinein die medizinische Indikation der streitigen Behandlung hätte feststellen müssen. Alternativ konnte der StPfl auch im Rahmen eines selbstständigen Beweissicherungsverfahrens gemäß § 82 FGO iVm §§ 485ff ZPO die medizinische Indikation feststellen lassen (vgl auch Kanzler, StRA 2/2011, 15).
Rn. 35
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Die neue Sichtweise galt nach BFH-Rspr auch für alternative Behandlungsmethoden bei Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen (s BFH BStBl II 2011, 119). War bisher auch in diesen Fällen eine amts- oder vertrauensärztliche Begutachtung für eine Anerkennung von ag Belastungen erforderlich, so waren nun die Aufwendungen anzuerkennen, wenn der StPfl an einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung litt und die Behandlung von einer Person vorgenommen wurde, die zur Ausübung der Heilkunde zugelassen war. Nicht die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme gab in diesen Fällen den Ausschlag für die tatsächliche Zwangsläufigkeit, sondern die Ausweglosigkeit der Lebenssituation, die den "Griff nach jedem Strohhalm" rechtfertigte.
c) Nachweisregelung in § 33 Abs 4 EStG/§ 64 Abs 1 EStDV
Rn. 36
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
In Reaktion auf diese neue Rspr wurde § 33 EStG geändert. § 33 EStG erhielt mit dem StVereinfG v 01.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) einen neuen Abs 4, der die Bundesregierung ermächtigte, durch Rechts-VO mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des Nachweises ag und zwangsläufiger Aufwendungen zu bestimmen. In Erfüllung dieser Ermächtigung wurde § 64 EStDV geändert. Damit sollten die bis dahin geltenden Verwaltungsanweisungen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten (R 33.4 EStR 2008) zur Aufrechterhaltung der früheren Rspr und Verwaltungsauffassung gesetzlich festgeschrieben werden (zum Wortlaut des § 64 EStDV nF s Abdruck oben nach dem Gesetzestext des § 33 EStG; s vor Rn 1). Dieser gesetzlichen Regelung sind als solcher keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenzusetzen (vgl BFH BStBl II 2012, 577). Danach ist nun für bestimmte Maßnahmen ein amtsärztliches Gutachten für den Nachweis erforderlich. Anderweitige Nachweise oder bloße Glaubhaftmachung scheiden in diesen Fällen aus (BFH BStBl II 2015, 586; BFH/NV 2016, 393).
Die Regelung des § 64 EStDV geht wie bisher (s R 33.4 Abs 1 EStR 2008) von dreifach gestuften Nachweisanforderungen aus. Neben der ärztlichen VO als Grundsatz (§ 64 Abs 1 Nr 1 EStDV),
kommt das amtsärztliche Gutachten oder die ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für bestimmte Maßnahmen in Betracht.
Fehlt der Nachweis, so fehlt es an der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Der Nachweis hat eine eingeschränkte Tatbestandswirkung. FG und FinBeh sind grds daran gebunden (ebenso Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 243 aE, Dezember 2020). Eine andere Frage ist aber, ob ein formalisierter Nachweis im Einzelfall erforderlich war, und wenn ja, ob der formalisierte Nachweis des Amtsarztes bzw des Medizinischen Dienstes einer Prüfung standhält. Beide Fragen sind letztlich vom FG als Tatsacheninstanz zu beantworten:
- Ob insbesondere eine Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt ist (§ 64 Abs 1 Nr...