1. Grundgedanke der Vorschrift
Rn. 1
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Der Grundgedanke des § 33 EStG ist es, die subjektive Leistungsfähigkeit des StPfl zu beachten. Zwar betrifft § 33 EStG nicht die Einkünfteerzielung, sondern die private Einkünfteverwendung, die im Allgemeinen wegen § 12 Nr 1 EStG steuerlich unbeachtlich ist. Das verfassungsrechtliche Gebot der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit gebietet die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen, die der Existenzsicherung des StPfl dienen (vgl BVerfG BStBl II 1985, 22). Einfachgesetzlich wird dies dadurch erreicht, dass sich die gewöhnlichen nichtdisponiblen Aufwendungen zB durch die Berücksichtigung von SA und durch die Steuerfreistellung des Existenzminimums steuerlich auswirken. Die außergewöhnlichen nichtdisponiblen Aufwendungen werden von § 33 EStG aufgefangen. Es sollen die zwangsläufigen und existentiell notwendigen privaten Aufwendungen erfasst werden (BFH BStBl II 2012, 577; 2015, 775; 2021, 146; BFH/NV 2016, 393; Geserich, DStR 2013, 1866).
Rn. 2
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Damit liegt in § 33 EStG nicht eine Billigkeitsregelung vor (so aber früher zB der BFH BStBl II 1982, 744; 1982, 749 und FG Ha EFG 1981, 20; s zur Kritik Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 8, Dezember 2020), sondern aufgrund Art 3 GG eine Vorschrift, die auch eine Ungleichbehandlung verhindern soll. Das Gebot der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit als Ausfluss des Gleichheitssatzes gemäß Art 3 GG gebietet dieses Gesetzesverständnis (ebenso Arndt in K/S/M, § 33 EStG Rz A 8; Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 9, Dezember 2020; Mellinghoff in Kirchhof/Seer, § 33 EStG Rz 1, 20. Aufl; Loschelder in Schmidt, § 33 EStG Rz 1, 40. Aufl; Jakob/Jüptner, StuW 1983, 206, 211; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rz 718, 22. Aufl 2015). Deutlich wird dies daran, dass § 33 EStG keine Ermessensvorschrift ist. Der StPfl hat somit einen Rechtsanspruch auf die Steuerermäßigung (Kanzler, NWB 2011, 249; Loschelder in Schmidt, § 33 EStG Rz 19, 40. Aufl).
Soweit in älteren Entscheidungen des BFH und in der Literatur die Vorschrift als Tarifvorschrift eingeordnet wird, entspricht dies nicht dem Charakter der Vorschrift. Danach ist sie mit den SA verwandt. Zwar deutet ihre Stellung im IV. Abschn. des EStG "Tarif" auf einen tariflichen Zusammenhang hin; jedoch ist diese Stellung historisch bedingt (s Kanzler in H/H/R, § 33 EStG Rz 8, Dezember 2020).
2. Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation und der Belastung der Allgemeinheit
Rn. 3
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Die Vorschrift erfasst nicht nur Aufwendungen außergewöhnlicher Art, die das Existenzminimum betreffen, sondern es werden darüber hinaus auch Aufwendungen erfasst, die die individuelle Lebenssituation betreffen. Das Gesetz zieht nämlich als Vergleichsmaßstab für die Bestimmung der Außergewöhnlichkeit diejenigen Aufwendungen heran, die einem StPfl gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse gewöhnlich entstehen (Mellinghoff in Kirchhof/Seer, § 33 EStG Rz 2, 20. Aufl).
Rn. 4
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Da es mit der steuerlichen Berücksichtigung dieser Aufwendungen quasi zu einer Mitfinanzierung der Aufwendungen durch die Allgemeinheit kommt, ist die Vorschrift restriktiv anzuwenden. Dies wird auch in der umfangreichen Kasuistik der Rspr deutlich.
3. Verfassungsmäßigkeit
Rn. 4a
Stand: EL 158 – ET: 06/2022
Die Vorschrift des § 33 EStG ist verfassungsgemäß. Dies gilt auch hinsichtlich der zumutbaren Belastung (BFH BStBl II 2016, 151, Verfassungsbeschwerde Az 2 BvR 180/16 nicht zur Entscheidung angenommen – Beschluss des BVerfG v 23.11.2016; BFH BStBl II 2017, 259, Verfassungsbeschwerde Az 2 BvR 221/17 nicht zur Entscheidung angenommen – Beschluss des BVerfG v 18.09.2018; Loschelder in Schmidt, § 33 EStG Rz 70, 40. Aufl; Kanzler in H/H/R, § 33 Rz 226 mwN, Dezember 2020; aA Karrenbrock/Petrak, DStR 2016, 47; Haupt, DStR 2016, 902; s auch Modrzejewski, StuW 2019, 144) und auch bzgl der Ansicht, die von einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung bei der Berücksichtigung der zumutbaren Belastung im Verhältnis ArbN und Beamte ausgeht (s BFH BStBl II 2017, 684 mwN Verfassungsbeschwerde Az BVerfG 2 BvR 1205/17 nicht zur Entscheidung angenommen – Beschluss des BVerfG v 17.09.2018). Der Ansatz der zumutbaren Belastung nach § 33 EStG bei sog beihilfefähigen Krankheitskosten benachteiligt auch StPfl ohne Beihilfeanspruch nicht in verfassungswidriger Weise gegenüber beihilfeberechtigten Beschäftigten im öffentlichen Dienst (BFH v 01.09.2021, VI R 18/19, mit Anm Kanzler in NWB 2021, 3363). Ebenso ist auch die rückwirkende Neuregelung für einen qualifizierten Nachweis nach § 33 Abs 4 EStG iVm § 64 Abs 1 EStDV verfassungsrechtlich nicht bedenklich (BFH BStBl II 2018, 469).