Rn. 7
Stand: EL 135 – ET: 04/2019
Die Bedeutung der Norm hat im Vergleich zu § 35 EStG aF zugenommen.
Denn mit dem seit 2009 anzuwendenden ErbSt-Recht verfolgt der Gesetzgeber ein Hochsteuerkonzept, das im Bereich vererbter stiller Reserven ohne § 35b EStG die Gefahr von Doppelbesteuerungen mit einer höheren Insgesamtsteuerbelastung in sich trägt. So führt die Bewertung aller Vermögensgegenstände mit dem gemeinen Wert zu einer vollständigen Erfassung stiller Reserven bei der Ermittlung der Bereicherung für Zwecke der ErbSt, ohne dass dies auf der Befreiungsebene ausreichend kompensiert wird.
Hier ist bspw hinzuweisen auf die engen Eingangsvoraussetzungen und strengen nachlaufenden Anforderungen während der fünf- bzw siebenjährigen Behaltefrist für die Begünstigung von BV in § 13a ErbStG sowie die mit 10 % gerade einmal Bewertungstoleranzen auffangende Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke des § 13d ErbStG. Zudem führt die Kombination von geringen Freibeträgen des § 16 Abs 1 Nr 5 u 7 ErbStG iHv EUR 20 000für Erwerber der Steuerklassen II und III und dem jedenfalls in der Steuerklasse III inakzeptabel hohen Eingangssteuersatz von 30 % (Steuerklasse II: 15 %) des § 19 Abs 1 ErbStG schon bei relativ geringen Erwerben zu einer hohen ErbSt-Belastung.
Rn. 8
Stand: EL 135 – ET: 04/2019
Mit der wortgleichen Übernahme der Vorgängerregelung des § 35 EStG aF bei Einführung des § 35b EStG werden auch die damals bereits bestehenden Kritikpunkte und Mängel übernommen:
Die Regelung gilt nur für Erwerbe von Todes wegen. Fälle einer Zuwendung unter Lebenden sind hingegen nicht erfasst. Der Umstand, dass in Schenkungsfällen eine Doppelbelastung durch Gestaltungsvarianten ggf vermieden werden kann, rechtfertigt die Unterscheidung nicht. Vielmehr ist die Problematik im Falle des Erwerbs von Todes wegen und unter Lebenden die Gleiche. Hierdurch ergeben sich Fragen nach einem Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip des Art 3 Abs 1 GG. Rechtspolitisch ist daher die Einbeziehung von Schenkungsfällen in die Anrechnungsmöglichkeit des § 35b EStG zu fordern (Neufang/Merz, BB 2011, 2397).
Es kommt wirtschaftlich nur zu einer Teilanrechnung der ErbSt auf die anteilige ESt. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, dass bei der Berechnung des Hundersatzes in § 35b S 2 EStG auf den (niedrigeren) durchschnittlichen Steuersatz abgestellt wird, mit dem der erbschaftsteuerliche Gesamterwerb besteuert wurde. Dieser setzt sich aber neben den stpfl auch aus den steuerfreien Erwerben (Freibeträge nach §§ 16 u 17 ErbStG sowie fiktiver Zugewinnausgleich nach § 5 ErbStG) zusammen. Der tatsächliche Steuersatz nach § 19 ErbStG weicht hiervon ab. Zöge man hingegen die latente ESt direkt von der ErbSt-Bemessungsgrundlage ab, ergäbe sich eine ErbSt-Entlastung nicht nur in Höhe des Durchschnittsteuersatzes, sondern in Höhe des Grenzsteuersatzes.
Beipiel (Teilanrechnung der ErbSt auf die anteilige ESt):
Ein im Kj 18 verstorbener Arzt vererbt seiner Witwe als Alleinerbin ausschließlich Honorarforderungen iHv EUR 1 Mio. Nach Abzug des Freibetrags von EUR 500 000 (§ 16 Abs 1 Nr 1 ErbStG) sowie des Versorgungsfreibetrags von EUR 256 000 (§ 17 Abs 1 ErbStG) ergibt sich ein erbschaftsteuerlicher Erwerb iHv EUR 244 000. Die darauf entfallende ErbSt beträgt bei einem Steuersatz von 11 % (§ 19 Abs 1 ErbStG) EUR 26 840.
Die Honorarforderungen fließen der Witwe im Kj 19 zu und unterliegen im Kj 19 zudem der ESt. Die auf die Honorarforderung entfallende ESt beläuft sich vor Anwendung des § 35b EStG auf EUR 450 000 (Steuersatz 45 %). Der für die Steuerermäßigung des § 35b EStG maßgebende Hundertsatz des § 35b S 2 EStG beträgt 2,68 % (= EUR 26 840/EUR 1 Mio.). Hieraus ergibt sich eine Steuerermäßigung iHv EUR 12 060 (= 2,68 % x EUR 450 000) und infolgedessen eine ESt iHv EUR 437 940. Im Ergebnis kann die ErbSt von EUR 26 840 also nur zum Teil (EUR 12 060) auf die ESt angerechnet werden. Bei einer alternativen Berücksichtigung der latenten ESt-Schuld bei der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage wäre die ErbSt hingegen vollständig (dh um EUR 26 840) gemindert worden.
Da § 35b EStG nur eine teilweise Anrechnung der ErbSt auf die ESt zulässt, verringert er zwar die Doppelbesteuerung, kann sie jedoch nicht vollumfänglich verhindern. Die weiter bestehende kumulative Belastung durch ErbSt und ESt mag zwar aufgrund des Typisierungsspielraums des Gesetzgebers die verfassungsrechtlichen Grenzen nicht überschreiten (Nichtannahmebeschluss des BVerfG v 07.04.2015, 1 BvR 1432/10), sie bietet aber trotzdem Anlass zu Kritik und Diskussion (siehe dazu Birnbaum, BB 2015, 2141; Crezelius, ZEV 2015, 392; Friz, DStR 2015, 2409; Kahle/Goldschmidt, Ubg 2016, 49; Kess, ZEV 2015, 254; Krieg, DStR 2017, 2705; Korn, DStR 2016, 1337; Thiele/Beckmann, FR 2016, 656).
Anlass zur Kritik bietet auch die Ausgestaltung als bloßes Wahlrecht. Das Erfordernis eines Antrags zur Geltendmachung der Begünstigung kann mit Blick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip unzulässige "Dummensteuereffekte" ni...