Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
a) Systematik
Rn. 39
Stand: EL 139 – ET: 10/2019
Regelzurechnung zum zivilrechtlicher Eigentümer: Voraussetzung für den Ansatz von WG u Schulden in der Bilanz ist, dass sie dem StPfl persönlich zuzurechnen und in sachlicher Hinsicht seinem BV (s Rn 49ff) zuzuordnen sind. Der Kaufmann hat gemäß § 242 Abs 1 HGB "sein" Vermögen und "seine" Schulden zu bilanzieren. Ausgangspunkt der personellen Zurechnung von WG u Schulden ist im Handels- ebenso wie im Steuerrecht die rechtliche Zurechnung (§ 246 Abs 1 S 2, 3 HGB, § 39 Abs 1 AO). Das zivilrechtliche Eigentum an einem WG umfasst grundsätzlich die unbeschränkte Verfügungsbefugnis über Substanz u Ertrag. Rechtliche u wirtschaftliche Zurechnung eines WG stimmen im Regelfall überein.
Ausnahmezurechnung zum wirtschaftlicher Eigentümer: Die Regelzurechnung zum zivilrechtlichen Eigentümer basiert auf der Vermutung, dass der zivilrechtliche Eigentümer über Substanz u Ertrag eines WG uneingeschränkt verfügen kann. Die Vermutung ist entkräftet, die Regelzurechnung damit aufgehoben, wenn ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer nachweislich die tatsächliche Herrschaft über ein WG in der Weise ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer – auch gegen dessen Willen – von der Einwirkung auf das WG wirtschaftlich ausschließen kann (§ 39 Abs 2 Nr 1 AO), so dass ein Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers entfällt oder wirtschaftlich bedeutungslos ist.
Die BGH-Rspr fordert für die Beantwortung der Zurechnungsfrage nachdrücklich die Berücksichtigung zivilrechtlicher Eigentumsverhältnisse und weist dem zivilrechtlichen Befund iRd gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine Kontrollfunktion zu.
Fallen rechtliche u wirtschaftliche Zurechnung auseinander, ist – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Anordnungen (zB § 6 RechKredV zu Treuhandgeschäften) – ausnahmsweise eine Zurechnung zum wirtschaftlichen Eigentümer vorzunehmen. Die Bilanzierung von WG, die im zivilrechtlichen Eigentum eines anderen Rechtssubjekts stehen, ist schon aus Vorsichtsgründen als Ausnahme aufzufassen (zum Regel-/Ausnahmeverhältnis zivilrechtlicher/wirtschaftlicher WG-Zurechnung BGH v 06.11.1995, II ZR 164/94, BB 1996, 155; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 39 AO Rz 20f; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, D Rz 110 (5. Aufl 2015).
Trotz des in systematischer Hinsicht bestehenden Ausnahmecharakters der personellen Zurechnung von WG zu Nichteigentümern, haben Fälle, in denen rechtliches u wirtschaftliches Eigentum auseinanderfallen, aufgrund der mit einem Zurechnungswechsel regelmäßig verknüpften Realisationsfragen u der Vielzahl betroffener Fallkonstellationen in der Praxis eine außerordentlich hohe Bedeutung.
Rn. 40
Stand: EL 139 – ET: 10/2019
Zur bilanziellen Bewältigung des Problemkomplexes der personellen Zurechnung fordert die Rspr in beachtlicher Beständigkeit
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eine wirtschaftsgut- (und ggf transaktions-)spezifische Konkretisierung von Kriterien für den Übergang wirtschaftlichen Eigentums (die abhängig vom Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall zu gewichten sind) u |
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die Bildung von Zurechnungs-Fallgruppen sowie eine hieran ausgerichtete wertende Zurechnung (BFH v 05.07.2018, VI R 67/15, BStBl II, 798 (zu Sondernutzungsrecht); BFH v 13.10.2016, IV R 33/13, BStBl II 2018, 81 (zu Sale-and-lease-back-Gestaltungen); BFH, v 25.07.2012, I R 101/10, BStBl II 2013, 165 (zu Bodenschätzen); BFH v 24.06.2004, III R 50/01, BStBl II 2005, 80 (zu Nießbrauch an Grundstück); BFH v 24.06.2004, III R 42/02, BFH/NV 2005, 164 (zu Wohnungsrecht); BFH v 20.11.2003, III R 4/02, BStBl II 2004, 305 (zu Betriebsvorrichtungen); BFH v 14.05.2002, VIII R 30/98, BStBl II 2002, 741 (zu Gebäuden auf fremdem Grund u Boden); BFH v 27.07.1999, X R 38/98, BStBl II 2000, 653 (zu Nießbrauch an Grundstück); BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97 (zu Gebäuden auf fremdem Grund und Boden); vgl auch Fischer, DStR 2001, 2015; Schmieszek in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz 13; Ratschow in Klein, § 39 AO Rz 15, 14. Aufl 2018). |
Mangels abgeschlossener Fallgruppenbildung sind Rspr, Stellungnahmen der FinVerw u berufsständischer Fachorgane zur personellen Zurechnung von WG ebenso wie Stellungnahmen im Fachschrifttum gleichwohl durch eine höchst ausgeprägte Kasuistik gekennzeichnet (im Einzelnen zur WG-spezifischen Zurechnung s Rn 152ff, im Einzelnen zur transaktionsspezifischen Zurechnung s Rn 1000ff).
b) Kodifizierung des Grundsatzes wirtschaftlicher Betrachtungsweise
ba) § 246 Abs 1 S 2 HGB
Rn. 41
Stand: EL 139 – ET: 10/2019
Mit dem seit dem BilMoG in § 246 Abs 1 S 2 HGB handelsrechtlich kodifizierten Grundsatz wirtschaftlicher Vermögenszugehörigkeit, demgemäß ein Vermögensgegenstand in der Bilanz eines Nichteigentümers auszuweisen ist, wenn er "nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen" ist (wirtschaftliche Vermögenszugehörigkeit), wurde der Grundsatz wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die personelle Zurechnung und Aktivierung im Handelsrecht explizit gesetzlich ausgeformt. Die Neufassung des § 246 Abs 1 HGB im Zuge des BilMoG dient ausweislich der ...