Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 647
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Einheitliche Qualifikation: Ein WG mit unselbstständigen materiellen und immateriellen Komponenten ist einheitlich, dh als insgesamt materiell bzw insgesamt immateriell zu qualifizieren (vgl Kählert/Lange, BB 1993, 613, 614). Untergeordnete Körperlichkeits- bzw Unkörperlichkeitsanteile sind für die weitere steuerliche Behandlung irrelevant. So ist zB ein als materielles zu qualifizierendes bewegliches WG auch bzgl der immateriellen Teile begünstigtes WG iS § 7g EStG oder taugliches Reinvestitionsobjekt iS § 6b Abs 10 EStG; ein als immateriell zu qualifizierendes selbst geschaffenes WG unterliegt einschließlich seiner materiellen Komponenten dem Aktivierungsverbot des § 5 Abs 2 EStG.
Abgrenzungskriterien: Ist ein immaterielles Gut an ein materielles Gut geknüpft (Bsp Tonträger, Speichermedien für Filme oder Software), ist entscheidend, welches Element – der geistige Inhalt oder die körperliche Substanz – in seiner wirtschaftlichen Bedeutung überwiegt. Um dies zu ermitteln, stellt die Rspr auf folgende Gesichtspunkte ab (BFH v 30.10.2008, III R 82/06, BStBl II 2009, 421 mwN; BFH v 18.05.2011, X R 26/09, BStBl II 2011, 865; BFH v 02.06.2014, III B 7/14, BFH/NV 2014, 1590):
- Wirtschaftliches Interesse des Erwerbers, dh auf welche Komponente (materiell/immateriell) ist der Erwerb im Kern gerichtet und – damit verbunden –
- Wertrelation: wofür wird der Kaufpreis überwiegend gezahlt,
dh auf die Feststellung, ob es einem Erwerber überwiegend auf den materiellen oder den immateriellen Gehalt ankommt. Insoweit mitbestimmend ist, ob der Verkörperung/Materialisierung aus Erwerbersicht eine eigenständige Bedeutung zukommt oder ob sie lediglich als "Träger" den immateriellen Gehalt festhalten, dh eine lediglich dienende Funktion haben soll. Sobald sich diese Frage stellt, überwiegt in der deutlichen Mehrzahl der Fälle der geistige Gehalt.
Ein Überwiegen des immateriellen Gehalts und damit immaterielle WG liegen zB in folgenden Fällen vor:
- Adressverzeichnisse (auf Datenträgern, BFH v 02.09.1988, III R 38/84, BStBl II 1989, 160);
- Software (BFH v 03.07.1987, III R 7/86, BStBl II, 728 zu Trivialsoftware; BFH v 28.07.1994, III R 47/92, BStBl II 1994, 873 zu Systemsoftware; BFH v 18.05.2011, X R 26/09, BStBl II 2011, 865 zu Standardsoftware; vgl auch LFD Thüringen v 25.10.2011, InvZ 1210 A – 03 – A 2.14, DB 2011, 2812; Ausnahme: Software ohne Befehlselemente mit Beständen von Daten, die allg bekannt und jedermann zugänglich sind, BFH v 05.02.1988, III R 49/83, BStBl II 1988, 737);
- digitale Luftbildkarte (auf Datenträger gespeichertes Basishöhenmodell und Triangulationspunkte, BFH v 02.06.2014, III B 7/15, BFH/NV 2014, 1590);
- Filme (auf Negativfilm/Filmrolle, BFH v 20.11.1970, VI R 44/69, BStBl II 1971, 186; einschließlich Werbefilme BFH v 14.06.1985, V R 11/78, BFH/NV 1985, 58);
- Geopunkte (auf Datenträger gespeicherte Koordinaten des Gebäudebestands der Bundesrepublik, BFH v 30.10.2008, III R 82/06, BStBl II 2009, 421);
- Musikaufnahme (auf Tonträger beim Produzenten, BFH v 28.05.1979, BStBl II 1979, 734);
- Prototypen (als verkörpertes Know-how, BFH v 22.05.1979, III R 129/74, BStBl II 1979, 634).
Zu einem Überwiegen des materiellen Gehalts aus Erwerbersicht und damit dem Vorliegen materieller WG kommt es dagegen, wenn Inhalte, die auch digital verfügbar sind (Bsp E-Books im Wege des Downloads, Audio-/Videofiles im Wege des Streamings) explizit in einer körperlichen Version erworben werden (gebundenes Buch, CD, DVD, Blue-ray). Entscheidet sich der Erwerber gegen die unkörperliche und explizit für die körperliche Version des Produkts, hat die körperliche Substanz und entsprechende Weiterverwendungsfähigkeit offenkundig überwiegende Bedeutung, so dass ein materielles WG anzunehmen ist. Da beim Hersteller insoweit idR UV vorliegt (Waren), für das weder das Aktivierungsverbot § 5 Abs 2 EStG noch auf AV abstellende steuerlich begünstigende Vorschriften (zB § 7 Abs 2 EStG, § 7g EStG) greifen, wird die Abgrenzungsfrage (materiell/immateriell) hier idR gar nicht erst aufgegriffen.