Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 386
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Dynamischer Verweis: § 5 EStG enthält mit der unter steuerlichem Wahlrechtsvorbehalt stehenden Anordnung der Geltung handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (und Bilanzierung) einen allgemeinen dynamischen Verweis (s Rn 326ff). Die Dynamik des Verweises ist unstreitig, diskutiert wird der inhaltliche Verweisungsumfang. In Bezug genommen sind alle jeweils am Bilanzstichtag geltenden GoB – nach hier vertretener Auffassung ohne Einschränkungen auf bestimmte Grundsätze.
Kodifizierte sowie nicht kodifizierte GoB: Der GoB-Verweis des § 5 EStG umfasst kodifizierte und nicht kodifizierte GoB gleichermaßen (s Rn 326, zB BFH v 25.08.2010, I R 103/09, BStBl II 2011, 215; BFH v 15.09.2004, I R 5/04, BStBl II 2009, 100; Gräbe, Das Maßgeblichkeitsprinzip vor dem Hintergrund des BilMoG, 2012, 141 mwN; Marx, FR 2016, 389; aA (Verweis nur auf kodifizierte GoB) Pfahl, Maßgeblichkeit der Handelsbilanz, 202 (1999)).
Allgemeingültige sowie rechtsform-/branchenspezifische GoB: Soweit rechtsform-/branchenspezifischen Bilanzierungsgrundsätzen GoB-Qualität beizumessen ist, finden diese durch § 5 Abs 1 S 1 Hs 1 EStG ebenfalls Eingang in die steuerliche Gewinnermittlung. Der GoB-Verweis ist nicht auf allgemeingültige, rechtsform-/branchenunspezifische GoB beschränkt (vgl zu rechtsformspezifischen GoB zB BFH v 30.11.2005, I R 26/04, BFH/NV 2006, 616; BFH v 25.08.2010, I R 103/09, BStBl II 2011, 215; BFH v 01.12.2012, I R 69/11, BStBl II 2017, 1232 unter III.1; BFH v 06.02.2013, I R 62/11, BStBl II 2013, 954 unter II.1; zu branchenspezifischen GoB zB BFH v 06.05.2015, I R 7/14, BFH/NV 2016, 69 unter II.1). Branchenspezifisch für Versicherungen hat der BFH etwa zuletzt bzgl der Höchstbetragsberechnung für Atomanlagerückstellungen als eine der Schwankungsrückstellung ähnliche Rückstellung eines Rückversicherungsunternehmens entschieden, dass § 341h Abs 2 HGB und § 30 Abs 2 RechVersV zu den branchenspezifischen GoB gehören, die nach § 5 Abs 1 EStG mangels eigenständiger steuerlicher Regelungen auch im Bereich des Steuerrechts zu beachten sind (Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen für sog Großrisiken, BFH v 07.09.2016, I R 23/15, BStBl II 2017, 472).
Spezielle rechtsform-/branchenspezifische Grundsätze für den Einzelabschluss haben steuerliche Relevanz nur für die betroffenen StPfl, nicht aber für sämtliche Kaufleute ("Relativität der GoB", Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 58 (41. Aufl 2022); Prinz in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, Rz 392 (4. Aufl 2021)). Die speziellen GoB tragen den speziellen rechtsform-/branchenspezifischen Bedingungen Rechnung, sie unterliegen gleichermaßen den allgemeinen steuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorbehalten, so dass insoweit von einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht auszugehen ist (s Rn 236, aA zB Beisse, DStZ 1998, 314; Schulze-Osterloh, DStJG 14 (1991), 129; Ballwieser, FS Budde, 1995, 48f). Problematisch ist vielmehr, rechtsform-/branchenspezifische Regelungen mit GoB-Qualität und damit Besteuerungsrelevanz zu identifizieren (zB die Frage der GoB-Qualität der Zurechnungsanordnungen für Pensionsgeschäfte iSd § 340b HGB (dazu Briesemeister in Prinz/Kanzler, Handbuch Bilanzsteuerrecht, Rz 716f. (4. Aufl. 2021); Haisch in H/H/R, § 5 EStG, Rz 1560a mwN (Dezember 2021)).
Materielle sowie formelle GoB: § 5 Abs 1 S 1 EStG verweist auf materielle ebenso wie auf formelle handelsrechtliche GoB. Hierunter fallen für KapGes auch die Vorschriften über die Gliederung der Bilanz (§§ 266ff HGB) und der GuV (§§ 275ff HGB), vgl zur Bilanzierung offener/verdeckter Aufgelder bei Optionsanleihen BFH v 30.11.2005, I R 26/04, BFH/NV 2006, 616: soweit ihnen materielle Bedeutung zukommt. Die Bilanzgliederungsvorschrift § 266 HGB als kodifizierter GoB wird im Übrigen bis zur Tiefe römischer Ziffern, dh im Umfang der für kleine KapGes geltenden Gliederungspflichten als (Mindest-)Konkretisierung der Gliederungsvorgaben des § 247 Abs 1 HGB verstanden (Gliederungsuntergrenze), soweit nicht Besonderheiten des Einzelfalls eine differenziertere Gliederung erfordern. Bei Bestandsvergleich nach § 5 Abs 1 EStG gelten die handelsrechtlichen Gliederungsvorschriften mangels abweichender steuerrechtlicher Vorgaben (als mittelbare Ansatzvorschriften) auch für das Steuerrecht (vgl Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 29 (41. Aufl 2022); Castan in Beck, HdR, B 200 Rz 5; Wichmann, DB 1994, 1197; Eigenstetter, WPg 1993, 576; Richter/Kruczynski/Kurz, DB 2010, 1608; Schiffers, Stbg 2011, 12; Richter/Kruczynski in HdR, Kap 6 Rz 548f; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap F Rz 61, einschränkend Rz 1080 (5. Aufl 2015); aA Schumann/Arnold, DStZ 2011, 233 Fn 51; Sigloch/Keller/Meffert in Michalski, GmbHG, Anh §§ 41–42a Rz 579 (3. Aufl 2017)). Erforderliche Modifikationen ergeben sich aus steuerrechtlich abweichenden Ansatzgeboten/-verboten, die als mittelbare steuerrechtliche Gliederungsvorschriften wirken (zB Eliminierung des Bilanzpostens "selbst gescha...