Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 41
Stand: EL 139 – ET: 10/2019
Mit dem seit dem BilMoG in § 246 Abs 1 S 2 HGB handelsrechtlich kodifizierten Grundsatz wirtschaftlicher Vermögenszugehörigkeit, demgemäß ein Vermögensgegenstand in der Bilanz eines Nichteigentümers auszuweisen ist, wenn er "nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen" ist (wirtschaftliche Vermögenszugehörigkeit), wurde der Grundsatz wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die personelle Zurechnung und Aktivierung im Handelsrecht explizit gesetzlich ausgeformt. Die Neufassung des § 246 Abs 1 HGB im Zuge des BilMoG dient ausweislich der Gesetzesbegründung "der Klarstellung und gesetzlichen Verankerung des Prinzips der wirtschaftlichen Zurechnung" (BT-Drucks 16/10067, 47; grundlegend zur Zurechnung im Handelsrecht Lorenz, Wirtschaftliche Vermögenszugehörigkeit im Bilanzrecht, 2002).
Die Bilanzrichtlinie 2013/34/EU v 26.06.2013 (AblEU, L 182/19) bestimmt in Art 6 Abs 1 Buchst h die Zurechnung von Vermögensgegenständen nach Maßgabe des Grundsatzes substance over form, dh die Zurechnung auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise:
Zitat
"Posten der GuV sowie der Bilanz werden unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gehalts des betreffenden Geschäftsvorfalls oder der betreffenden Vereinbarung bilanziert und dargestellt" […] "bei der Darstellung der einzelnen Posten im Abschluss sollte der wirtschaftlichen Realität bzw dem wirtschaftlichen Gehalt des zugrunde liegenden Geschäftsvorfalls oder der zugrunde liegenden Vereinbarung Rechnung getragen werden" (RL 2013/34/EU, Abs 16 Erwägungsgründe).
Die EU-Bilanzrichtlinie fordert insoweit keine freischwebende wirtschaftliche Betrachtungsweise iS von "substance without form" (Hoffmann, StuB 2013, 557; Gefahr des Unterbleibens/vorzeitigen Abbruchs rechtlicher Analyse dagegen befürchtend DStV/BStBK, Stellungnahme B 05/14 v 04.12.2014, 2), sondern geht von einer zweistufigen Prüfkonzeption aus:
(1) |
rechtliche Ebene (form): zugrunde liegender Geschäftsvorfall/Vereinbarung; |
(2) |
wirtschaftliche Ebene (substance): wirtschaftliche Realität/Gehalt (vgl auch Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, BB 2014, 2732). |
Das deutsche Handelsrecht verbindet mit § 246 Abs 1 S 2 HGB für die subjektive Zurechnung von Vermögensgegenständen bereits die rechtliche mit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Da die rechtliche Betrachtungsweise Ausgangspunkt für die Zurechnungsentscheidung ist u diese bei substanziell abweichendem wirtschaftlichen Gehalt von Letzterer dominiert wird, wird die handelsrechtliche Rechnungslegung in Zurechnungsfragen einem Substance-over-form-Grundsatz bereits gerecht (Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft, NZG 2014, 894; krit Lüdenbach/Freiberg, BB 2015, 367; so dass iRd Umsetzung der EU-Bilanzrichtlinie in nationales Recht durch das BilRUG v 17.07.2015 weder ein allg Grundsatz substance over form als overriding principle noch eine weitere Konkretisierung der "wirtschaftlichen Zurechnung" iSd § 246 Abs 1 S 2 HGB Eingang in das HGB gefunden haben).
Die einer Gestaltung zugrunde liegenden Zivilrechtsstrukturen bilden den – höchstmögliche Objektivität gewährleistenden – Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zurechnung eines WG sowie der Änderung dieses Status. Das zT als Teilschritt einer Entwicklung des EU-Bilanzrechts hin zu einer vollständigen IFRS-Absorption gewertete Hinwirken der EU auf die Umsetzung des Substance-over-form-Grundsatzes (Kreipl, KoR 2013, 200) ist damit zumindest für Zurechnungsfragen nicht konkret erkennbar.