Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 329
Stand: EL 134 – ET: 02/2019
Vom steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt erfasst sind sowohl steuerliche Ansatz- als auch Bewertungswahlrechte. Der Wortlaut des § 5 Abs 1 S 1 Hs 2 EStG bezieht sich konkret zwar lediglich auf den steuerlich gewählten "anderen Ansatz", die Dokumentationsregelung des § 5 Abs 1 S 2 EStG stellt mit Inbezugnahme des "Werts" von WG gleichwohl klar, dass auch Bewertungswahlrechte eingeschlossen werden.
Umstritten sind die konkret vom Wahlrechtsvorbehalt erfassten Ansatz- und Bewertungswahlrechte. Problematisch ist zT bereits die Identifikation von Wahlrechten, dh die Feststellung, ob eine steuerliche Norm ein Wahlrecht beinhaltet. Ursächlich hierfür ist ein teils zu vermissender eindeutiger Normwortlaut, der dem Rechtsanwender zweifelsfrei ein Wahlrecht signalisiert ("kann" vs "darf" vs "darf nur"). Weiterhin ist strittig, ob der steuerliche Wahlrechtsvorbehalt – entsprechend des ohne Einschränkungen formulierten § 5 Abs 1 S 1 Hs 2 EStG – jegliche steuerliche Wahlrechte ohne Ansehen ihrer Motivation (steuersubventionell/fiskalisch motiviert/Vereinfachung) oder der
GoB-Konformität der Wahlmöglichkeiten umfasst oder zu beschränken ist.
Nach Auffassung der FinVerw ist der steuerliche Wahlrechtvorbehalt weit auszulegen, er umfasst alle Wahlrechte, die sich aus dem Gesetz oder Verwaltungsanweisungen ergeben, unabhängig davon, ob ein korrespondierendes handelsrechtliches Wahlrecht besteht oder das Wahlrecht lediglich einseitig steuerlich besteht (BMF v 12.03.2010, BStBl I 2010, 239 Rz 12f, 16; vgl auch Stobbe, DStR 2008, 2433; Herzig/Briesemeister, DB 2009, 929; Herzig/Briesemeister, DB 2009, 976; Herzig/Briesemeister, DB 2010, 917; Dörfler/Adrian, Ubg 2009, 387; Kirsch, Stbg 2009, 320; Ortmannn-Babel/Bolik/Gageur, DStR 2009, 935; Ott, StuB 2009, 470; Theile, DStR 2009, 2384; Werth, DStZ 2009, 509f; Klein, NWB 2010, 2044ff; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl 2015, Kap C, Rz 596; Schmidt/Usinger in Beck'scher Bilanz Komm, 11. Aufl 2018, § 243 Rz 112; Winkeljohann/Buchholz in Beck'scher Bilanz Komm, 11. Aufl 2018, § 274 Rz 122, 125; Schubert/Adrian in Beck'scher Bilanz Komm, 11. Aufl 2018, § 274 Rz 144f; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz 202 (März 2018); Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 60, 37. Aufl 2018).
Rn. 330
Stand: EL 134 – ET: 02/2019
Die Diskussion um die Reichweite des steuerlichen Wahlrechtsvorbehalts hat sich insb im Hinblick auf die Frage zugespitzt, ob § 6 Abs 1 Nr 1 S 2, Nr 2 S 2 EStG jeweils ein autonom ausübbares steuerliches Wahlrecht zur Teilwertabschreibung enthält. Besondere praktische Relevanz hat die Frage in Bezug auf voraussichtlich dauerhaft wertgeminderte Anteile an KapGes, da mit dem Verzicht auf die gem § 8b Abs 3 S 3 KStG steuerlich irrelevante Teilwertabschreibung auch eine spätere Wertaufholung entfällt, die gem § 8b Abs 2 S 3 KStG iVm § 8b Abs 3 S 1 KStG im Umfang von 5 % steuerlich relevant wäre. Darüber hinaus hat die Frage insb im Hinblick auf wertvolatile WG (Bsp aktivierte Kryptowährungen) wesentliche Relevanz bei drohendem Untergang von Verlusten.
Die bzgl der Formulierung der steuerlichen Teilwertabschreibung ("kann [...] angesetzt werden", § 6 Abs 1 Nr 1 S 2, Nr 2 S 2 EStG) aufgeworfene Frage, ob ein Wahlrecht insoweit überhaupt vorliegt und die hoch umstrittene Frage, ob dieses steuerlich autonom ausgeübt werden kann (bejahend BMF v 12.03.2010, BStBl I 2010, 239 Rz 15), wurde bereits mit den Äußerungen des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren zum JStG 2010 positiv beantwortet (BR-Drucks 318/108, 14; vgl auch BT-Drucks 17/2823, 6):
Zitat
"Wahlrechte, die nur steuerrechtlich bestehen, können nunmehr unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden. Ein solches steuerliches Wahlrecht enthalten die Vorschriften des § 6 Abs 1 Nr 1 S 2, Nr 2 S 2 EStG, nach denen ein niedrigerer Teilwert angesetzt werden kann, wenn er auf einer voraussichtlich dauernden Wertminderung beruht. Die Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung in der HB in Folge einer voraussichtlich dauernden Wertminderung ist somit nicht zwingend in der StB durch eine Teilwertabschreibung nachzuvollziehen."
Der Gesetzgeber hat dies erneut mit der im Zuge des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v 27.06.2017 eingeführten Regelung zu Sanierungserträgen § 3a EStG klar bestätigt. Sanierungserträge sind ua nur dann steuerfrei zu stellen, wenn steuerliche Wahlrechte im Sanierungsjahr gewinnmindernd ausgeübt werden. Als steuerliches Wahlrecht idS benennt § 3a Abs 1 S 3 EStG konkret das Wahlrecht zur Teilwertabschreibung nach § 6 Abs 1 Nr 1 S 2 u Nr 2 S 2 EStG. Das Verständnis der "kann"-Formulierung des § 6 Abs 1 Nr 1 S 2, Nr 2 S 2 EStG als Wahlrecht entspricht zudem der Handhabung der Teilwertabschreibung bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG (zB Förster, Steuerbilanzpolitik nach dem BilMoG, Festschrift Franz, 2011, 253).
Eine demgegenüber (in unterschiedlichen Nuancen) vertretene Begrenzung des Wahlrechtsvorbehalts auf steuerliche Wahlrechte mit...