Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
bba) Laufende Nutzung
Rn. 170e
Stand: EL 142 – ET: 04/2020
Eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung setzt voraus, dass derjenige, der in Erwartung des Eigentumserwerbs das unbewegliche WG besitzt, in der Lage ist, den laufenden Ertrag des WG durch laufende Nutzung, dh zB Vermietung/Verpachtung/Selbstnutzung abzuschöpfen und den zivilrechtlichen Eigentümer zugleich hieran zu hindern. Die laufende Nutzung schließt auch eine Nutzung baurechtlicher Möglichkeiten des Grundstücks ein, wie etwa die Möglichkeit, eine Windenergieanlage zu errichten, zu unterhalten und zu betreiben, Zuwegungen zu errichten und zu benutzen, Anschlüsse an das öffentliche Stromleitungsnetz zu verlegen etc.
Verpflichtet sich der zivilrechtliche Eigentümer – bspw im Rahmen eines grundstücksbezogenen Optionsgeschäfts – lediglich negativ dazu, Dritte von der Nutzung auf das unbewegliche WG auszuschließen, ohne dem Optionsberechtigten selbst positiv die Inbesitznahme und Nutzung zu gestatten, reicht dies für die Annahme eines Nutzungsübergangs und damit für den (einem zivilrechtlichen Eigentumsübergang vorgelagerten) Übergang wirtschaftlichen Eigentums grds nicht aus. Entgegen der Rspr kann eine beim zivilrechtlichen Eigentümer verbleibende laufende Nutzung verbunden mit dem beim zivilrechtlichen Eigentümer verbleibenden Besitz (außerhalb der Voraussetzung für besitzloses wirtschaftliches Eigentum, s Rn 170d) nicht durch eine im Übrigen bestehende Bindung des zivilrechtlichen Eigentümers (zB durch ein Verkaufsangebot) überkompensiert werden, auch wenn die Bindung durch zusätzliche Abreden (Bsp dinglich besicherte Darlehensgewährung in Höhe des Kaufpreises bei Annahme des Angebots) weiter verstärkt wird (so aber BFH v 23.01.1992, IV R 95/90, BStBl II 1992, 553). Über die beim zivilrechtlichen Eigentümer verbleibenden positiven Herrschaftsbefugnisse Besitz und Nutzung kann in der Frage des vorzeitigen Zurechnungswechsels nicht ohne weiteres hinweggedacht werden; dies gilt selbst bei hoher Wahrscheinlichkeit der Ausübung einer Kaufoption.
Eine "laufende Nutzungsbefugnis" eines Nichteigentümers respektive ein "Ausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers von der laufenden Nutzung" kann ua durch dingliche Nutzungsrechte (s Rn 168d) wie Erbbaurechte, Nießbrauch oder obligatorische Nutzungsrechte wie Miete, Pacht, dh vergleichsweise einfach bewirkt werden, ohne dass wirtschaftliches Eigentums bereits deshalb zwingend überginge. Entscheidend ist die Dauerhaftigkeit des Ausschlusses. Insoweit ist das Verhältnis von Dauer der Nutzungsbefugnis und Nutzungsdauer des betreffenden WG in den Blick zu nehmen.
bbb) Nutzung durch Veräußerung/Belastung
Rn. 170f
Stand: EL 142 – ET: 04/2020
Die Möglichkeit, ein unbewegliches WG zu veräußern oder zu belasten, ist wesentlicher Ausdruck der Sachherrschaft über ein unbewegliches WG. Insb im Wege der Veräußerung können dessen Substanz nutzbar gemacht und Wertsteigerungen realisiert werden. Wirtschaftliches Eigentum setzt gleichwohl nicht voraus, dass der nutzungsberechtigte potenzielle wirtschaftliche Eigentümer das unbewegliche WG selbst belasten oder veräußern kann (BFH v 18.11.1970, I 133/64, BStBl II 1971, 133; BFH v 14.11.1974, IV R 3/70, BStBl II 1975, 281; BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97; FG Münster v 11.11.2010, 11 K 4309/07 F, BB 2011, 214). Die personelle Zurechnung unbeweglicher WG zu einem Nichteigentümer ist folglich nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Eigentümer die rechtliche Verfügungsbefugnis behält (BFH v 18.07.2001, X R 15/01, BStBl II 2002, 278; BFH v 18.09.2003, X R 21/01, BFH/NV 2004, 306). § 39 Abs 2 Nr 1 AO adressiert gerade eine Zurechnung abweichend vom zivilrechtlichen Eigentum; die fehlende freie bürgerlich-rechtliche Übertragbarkeit durch den potenziellen wirtschaftlichen Eigentümer ist Folge mangelnden, für die Beurteilung indessen zurücktretenden zivilrechtlichen Eigentums (BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97). Die Annahme wirtschaftlichen Eigentums im Vorstadium des zivilrechtlichen Eigentumserwerbs an Grundstücken setzt im Hinblick auf die aperiodische Ausprägung des Nutzungskriteriums (nur) voraus, dass der Erwerber in der Lage ist, den zivilrechtlichen Eigentümer von der Einwirkung auf das WG auszuschließen, dh ihn ua an der Veräußerung und Belastung des Grundstücks – und damit auch an einer Realisation stiller Reserven – zu hindern (vgl auch FG RP v 11.09.2001, 2 K 2934/00, nv). Von einer Verwertungs-/Belastungsbeschränkung des zivilrechtlichen Eigentümers ist jedenfalls auszugehen, wenn dieser aufgrund einer eingetragenen Auflassungsvormerkung einer faktischen Verfügungsbeschränkung unterworfen ist (BFH v 29.10.1985, IX R 23/85, BFH/NV 1986, 404; BFH v 16.05.2002, IV R 19/00, BStBl II 2002, 693). Vertraglich vereinbarte Verfügungs- und Belastungssperren führen gleichermaßen zum Substanzausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers.
Zur Gewichtung des Kriterium s Rn 170m.
Ist die Verfügung über das (rechtliche) Eigentum in einzelnen Beziehungen beschränkt (wie zB durch eine Testamentsvollstreckung od...