Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 417
Stand: EL 80 – ET: 08/200
Definition Leistungsgefahr: Vor der Preisgefahr zunächst zu unterscheiden ist die Leistungsgefahr. Diese betrifft in gegenseitigen Verträgen die Frage, wer im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und vollständiger Erfüllung iS § 363 BGB die Gefahr des zufälligen Untergangs des Leistungsgegenstandes trägt. Die Leistungsgefahr ist
- aus der Sicht des Schuldners (zB Verkäufer): das Risiko, die Leistung bis zum Eintritt des Leistungserfolgs (zB Übergabe und Übereignung der Sache) wiederholen zu müssen;
- aus der Sicht des Gläubigers (zB Käufer): die Gefahr, die versprochene Leistung (zB Übergabe und Übereignung der Sache) nicht zu erhalten.
Durch den Übergang der Leistungsgefahr wird ein wesentlicher Abschnitt des Leistungsprozesses abgeschlossen. Als alleiniger Anknüpfungspunkt für die Gewinnrealisation kommt der Übergang der Leistungsgefahr nicht bereits in Frage, denn der Übergang hat lediglich zur Folge, dass der Schuldner bei Untergang oder Beschädigung der Sache nicht noch einmal leisten muss. Für den Realisationszeitpunkt ist jedoch der Anspruch auf die Gegenleistung, dh die beim Leistungsverpflichteten eintretende Vermögensmehrung entscheidend. Dazu sagt die Leistungsgefahr nichts aus (Lüders, Der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung im Handels- und Steuerbilanzrecht, 74 (1987)).
Definition Preisgefahr: Die Preisgefahr (synonym Vergütungs- oder Gegenleistungsgefahr) betrifft demgegenüber bei gegenseitigen Verträgen die Frage, ob im Zeitraum zwischen Vertragsschluss und vollständiger Erfüllung im Sinne § 363 BGB bei Wegfall der Leistung (§ 275 BGB) die vereinbarte Gegenleistung dennoch zu erfüllen ist (§ 326 Abs 1, 2 BGB). Die Preisgefahr bezeichnet
- aus Sicht des Schuldners (Bsp Verkäufer): das Risiko, die Gegenleistung (Bsp Kaufpreis) nicht zu erhalten, weil er nicht oder nicht mangelfrei leisten kann,
- aus Sicht des Gläubigers (Bsp Käufer): das Risiko, die Gegenleistung (Bsp Kaufpreis) erbringen zu müssen, obwohl er die vereinbarte Leistung (zB Übergabe und Übereignung der Sache) nicht oder nicht mangelfrei erhält.
Mit Übergang der Preisgefahr ist aus Sicht des unter Realisationsaspekten hier interessierenden Leistungsschuldners der Leistungsprozess abgeschlossen, der Anspruch auf die Gegenleistung kann durch Leistungsstörungen nicht mehr beeinträchtigt werden, er ist – wie von der Rspr gefordert – so gut wie sicher. Ab diesem Zeitpunkt steht dem Schuldner der Gegenleistung nicht länger die Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 BGB zu. Mit Übergang der Preisgefahr trifft der wirtschaftliche Verlust nunmehr den Gläubiger, er muss zahlen, ggf ohne etwas dafür zu erhalten (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II, Halbband 1, Besonderer Teil, § 42 II, 96 (13. Aufl 1986)).
Übergang der Preisgefahr: Leistungs- und Preisgefahr gehen in der Regel parallel über (Faust in BeckOK BGB, § 446, Rz 14 (August 2023)). Die Leistungsgefahr kann ggf vor der Preisgefahr übergehen; in umgekehrter Reihenfolge ist dies nicht möglich, die Frage des Preisgefahrenübergangs stellt sich noch nicht, solange der Schuldner nicht leisten muss (Westermann in Münchner Kommentar BGB, § 446 Rz 10 (8. Aufl 2019)). Grundsätzlich trägt gemäß § 326 Abs 1 S 1 BGB der Schuldner die Preisgefahr so lange, bis er erfüllt hat. Wann dies der Fall ist, ist von der Art der geschuldeten Leistungshandlung (Veräußerung, Werklieferung etc) abhängig.
Bei Gattungsschulden ist für die Frage der Leistungserbringung zunächst entscheidend, dass der Schuldner iS § 243 Abs 2 BGB alles seinerseits zur Leistung Erforderliche getan hat, damit die Konkretisierung der Gattungsschuld eintritt (vertragsgemäße Auswahl und Aussonderung der Sache); der Zeitpunkt des Gefahrenübergangs ist zudem von der konkret geschuldeten Leistungshandlung abhängig.
Wird eine Bringschuld vereinbart, ist der Schuldner verpflichtet, dem Gläubiger die Sache am vertraglich vereinbarten Ort tatsächlich anzubieten, die Preisgefahr geht mit Übergabe der verkauften Sache über (§ 446 Abs 1 BGB).
Bei einer Holschuld reicht es aus, dass der Schuldner den Gläubiger von der Aussonderung benachrichtigt und ihn zur Abholung mit angemessener Frist auffordert, ohne ihn in Annahmeverzug setzen zu müssen.
Wird die Schickschuld vereinbart, ist die Absendung der Sache durch Übergabe an eine geeignete Transportperson erforderlich (Schulze in Schulze, BGB, § 243 Rz 7 (11. Aufl 2021)), der Gefahrenübergang erfolgt mit der Auslieferung an den Spediteur oder an die sonstige mit der Beförderung beauftragte Person (§ 447 Abs 1 BGB).
Im Einzelnen zum Preisgefahrenübergang bei unbedingten Veräußerungsgeschäften s Rn 421 einschließlich der Sonderfälle Versendungskauf s Rn 423a, Verbrauchsgüterkauf s Rn 424a, Annahmeverzug s Rn 425a, in Fällen aufschiebend bedingter Veräußerung s Rn 433, einschließlich Verkauf auf Probe s Rn 434b, in Fällen auflösend bedingter Veräußerung s Rn 440b sowie in Werkvertragsfällen s Rn 456b.