Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Schrifttum:
Institut FSt, DB 1985, 360;
Stadie, StuW 1985, 101;
Thoma, Bilanzberichtigung und Bestandskraft, DStR 1988, 346;
von Wallis, DStZ 1991, 437 und FS Döllerer, 693;
Wieczorek, Bilanzberichtigung – Verjährung – Totalgewinn, DStR 1994, 1;
Tipke/Kruse, AO, § 173 Rz 40;
Schuhmann StBp 1996,1;
Stapperfend in H/H/R, § 4 EStG Rz 300ff;
von Groll, FS Kruse 2001, 445;
Hoffmann, FS Korn 2005, 63.
Rn. 518
Stand: EL 76 – ET: 11/2007
Das Institut des Bilanzenzusammenhangs (s Rn 506ff) bewirkt die sog Zweischneidigkeit der Bilanz (Thoma, DStR 1988, 346: "Janusköpfigkeit der Bilanz"). Irgendwie definierte "Fehler" in der Bilanz haben deshalb notgedrungen Auswirkungen auf mehr als ein Jahresergebnis, s Rn 513–517. Fehlerhafte Bilanzansätze aus dem Vorjahr oder einem früheren Jahr werden sozusagen bis zur Richtigstellung in der Bilanz des laufenden Jahres oder derjenigen eines späteren Jahres weitergewälzt. Vor dem Hintergrund des Postulats eines "Totalgewinns" (Gesamtgewinn des Unternehmens über seine Lebensdauer hinweg) erscheint der Bilanzenzusammenhang als geeignetes Vehikel zur Erreichung dieses Zieles.
Rn. 519
Stand: EL 76 – ET: 11/2007
In steuerverfahrenstechnischer Hinsicht bergen allerdings die Rechtsinstitute der Bestandskraft von Steuerverwaltungsakten und der Verjährung von Steuerzahlungsansprüchen einen vordergründig unauflösbaren sachlichen Konfliktstoff. Dieser rührt daher: Der Gedanke des Totalgewinns – ergebniswirksame Korrektur von früher fehlerhaften Bilanzansätzen über die Dauer des Unternehmens hinweg – führt zu einer Durchbrechung des steuerverfahrensrechtlichen Postulats des Rechtsfriedens.
Beispiel 1:
Im Fall der Umsatzbonifikation gemäß BFH BStBl III 1960, 137 war jahrelang zu Unrecht der Anspruch auf Umsatzboni für das Vorjahr von dem betreffenden StPfl nicht aktiviert worden. Der BFH hatte erkannt, dass in einem späteren, verfahrensrechtlich noch nicht festgezurrten VZ dieser Bonusanspruch für das abgelaufene Geschäftsjahr gewinnerhöhend einzubuchen ist, ohne den gleichfalls gewinnerhöhend (bei Bezahlung) in dem betreffenden VZ eingegangenen Bonus für das Vorjahr ergebnismäßig wieder zurückzudrehen. Der Rechtsgedanke des Bestandsschutzes für frühere zu niedrige Steuerfestsetzungen hätte es demgegenüber geboten, nur sozusagen einen Bonusanspruch in dem betreffenden Wj gewinnerhöhend zu berücksichtigen. Im Ergebnis ist die "an sich" rechtskräftige falsche Veranlagung (damals zugunsten des StPfl) nunmehr zu dessen Ungunsten wieder berichtigt worden. Bei StPfl mit einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG oder bei "Überschussermittlern" nach § 2 Abs 2 Nr 2 EStG wäre dies nicht denkbar.
Diese Rechtsfolge aus der Zweischneidigkeit der Bilanz kann sich aber genauso gut mit dem gleichen verfahrensrechtlichen Hintergrund zugunsten des StPfl auswirken.
Beispiel 2:
Ein StPfl unterlässt die Bildung einer zwingend gebotenen Rückstellung für einen Gewährleistungsfall im Jahre 01. Die Veranlagung für das Jahr 01 wird unveränderbar bestandskräftig. Im Jahr 05 wird der damalige Bilanzierungsfehler dadurch aufgedeckt, dass durch rechtskräftiges Urt der Gewährleistungsanspruch in bar zu erfüllen ist. Die Aufhebung der "Bestandskraft" für die frühere fehlerhafte Veranlagung im Jahr 01 als Folge der Totalgewinnbetrachtung auf der Grundlage des Bilanzenzusammenhangs bewahrt den betreffenden bilanzierenden StPfl also vor einem steuerlichen Schaden in Folge seines damaligen Fehlers. Umgekehrt liegt der Fall wieder bei einer zu Unrecht, wenn auch "subjektiv richtig" gebildeten Rückstellung, BFH BFH/NV 1990, 630.
Rn. 520
Stand: EL 76 – ET: 11/2007
Wegen der aus den vorstehenden Fakten heraus vermuteten Ungleichmäßigkeiten bei der Besteuerung (zwischen Einkunftsermittlung nach § 4 Abs 3 EStG bzw §§ 8 – 9b EStG einerseits und § 4 Abs 1 EStG andererseits) wird von einer verbreiteten Rechtsauffassung (Tipke/Kruse, § 173 AO Rz 40 mwN) entgegen der ständigen BFH-Rspr (GrS BFH BStBl III 1966, 142) und der Verwaltungsauffassung (R 4.4 Abs 1 EStR 2005) verlangt, dass der einmal entdeckte fehlerhafte Bilanzansatz in das fehlerhafte Veranlagungsjahr zurückverfolgt und dort ohne steuerliche Auswirkung korrigiert wird. Nicht die Besteuerungsgrundlagen seien rechtskräftig festgesetzt, sondern nur die Besteuerungshöhe. Diese Meinung hätte im ersten Fallbeispiel (s Rn 519) eine Steuerermäßigung für das Aufdeckungsjahr zur Folge und umgekehrt im Fallbeispiel 2.
Rn. 521
Stand: EL 76 – ET: 11/2007
Der Auffassung, die genannte BFH-Rspr und die Verwaltungsauffassung widerspreche dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (hier genannt: Gegenauffassung), ist bereits das Ergebnis aus dem Vergleich der beiden Fallbeispiele (s Rn 519) entgegenzuhalten. Die Entscheidung zugunsten des Bilanzenzusammenhangs und des Totalgewinns führt jedenfalls nicht zu einer einseitigen Bevorzugung von StPfl einerseits oder Fiskus andererseits. Die hier vertretene Auffassung hat den weiteren nicht unbedeutenden Vorteil, dass in der Bilanzierungspraxis bei einem aufgedeckten Fehler ...