Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
1. Fallgruppen: Differenzierung nach Wirtschaftsgut(sub-)gruppen
Rn. 151
Stand: EL 142 – ET: 04/2020
Ein zivilrechtlicher Nichteigentümer ist wirtschaftlicher Eigentümer, das betreffende WG ihm damit zuzurechnen, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede(n) die mit dem jeweiligen WG verbundenen wesentlichen Rechte, soweit sie wirtschaftlich von Wert und damit zurechnungsrelevant sind, ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann und damit in der Lage ist, den Eigentümer von der Einwirkung auf das betreffende WG auszuschließen (zB zu Anteilen an KapGes (BFH v 06.10.2009, IX R 14/08, BStBl II 2010, 460; BFH v 24.01.2012, IX R 51/10, BStBl II 2012, 308). Die Anwendung des § 39 Abs 2 Nr 1 AO ist (ebenso die Anwendung des § 246 Abs 1 S 2 HGB) demgemäß "auf die Art des jeweils betroffenen WG abzustimmen" (BFH v 26.01.2011, VIII R 14/10, BFH/NV, 1512), so dass wirtschaftliches Eigentum abhängig von der Art des WG unterschiedlich ausgeprägt ist. Das zivilrechtliche Eigentum iSd § 39 Abs 1 AO muss aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen derart stark ausgehöhlt sein, dass der Eigentümer die tatsächliche Sachherrschaft über das jeweils betroffene WG und damit die zivilrechtliche Rechtsposition wirtschaftlich ihre Substanz und Werthaltigkeit (weitestgehend) verliert.
Zur bilanziellen Bewältigung dieses Problemkomplexes fordert die Rspr
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eine wirtschaftsgut- (und ggf transaktions-) spezifische Konkretisierung von – tatrichterlich abhängig vom Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall zu gewichtenden – Kriterien für den Übergang wirtschaftlichen Eigentums und |
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die Bildung von Fallgruppen und eine hieran ausgerichtete wertende Zurechnung (BFH v 27.11.1996, X R 92/92, BStBl II 1998, 97 (zu Gebäuden auf fremdem Grund und Boden); BFH v 28.07.1999, X R 38/98, BStBl II 2002, 653 (zu Vorbehaltsnießbrauch an Grundstück); BFH v 14.05.2002, VIII R 30/98, BStBl II 2002, 741 (zu Gebäuden auf fremdem Grund und Boden); BFH v 20.11.2003, III R 4/02, BStBl II 2004, 305 (zu Betriebsvorrichtungen); BFH v 24.06.2004, III R 50/01, BStBl II 2005, 80 (zum Zuwendungsnießbrauch an Grundstücken); BFH v 24.06.2004, III R 42/02, BFH/NV 2015, 164 (zum Wohnungsrecht); BFH v 25.07.2012, I R 101/10, BStBl II 2013, 165 (zu Bodenschätzen); BFH v 13.10.2016, IV R 33/13, BStBl II 2018, 81 (zu Sale-and-lease-back Gestaltungen mit beweglichen WG); BFH v 05.07.2018, VI R 67/15, BStBl II 2018, 798 (zu Sondernutzungsrecht). |
Die erforderliche Fallgruppenbildung hat insb zu berücksichtigen:
- die Art des WG,
- die mit dem jeweiligen WG verbundenen, wertbestimmenden (Herrschafts-)Befugnisse,
- die WG-spezifische Gewichtung der wertbestimmenden (Herrschafts-)Befugnisse,
- die tatsächlichen Umstände des konkreten Falls.
2. Abgrenzung Zurechnungs-/Zuordnungsobjekt
Rn. 152
Stand: EL 142 – ET: 04/2020
Gegenstand der Zurechnung nach § 39 AO ist das WG, Gegenstand der Zurechnung nach § 246 Abs 1 S 2 HGB iVm § 5 Abs 1 EStG der Vermögensgegenstand. Der Zurechnungs- und Zuordnungsentscheidung vorausgehen muss die Abgrenzung selbstständiger Zurechnungs-/Zuordnungsobjekte. Hier ist insb die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen es zur Abspaltung selbstständiger WG aus bestehenden WG kommt. Die handelsrechtliche geht ebenso wie die steuerliche Zurechnungsrechnungskonzeption von der Zurechnung und nachfolgend der Zuordnung von Vermögensgegenständen bzw WG jeweils in ihrer Gesamtheit aus (all or nothing approach).
Dies schließt gleichwohl weder aus, dass
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originär einheitliche WG steuerbilanziell in mehrere selbstständige, abstrakt und konkret bilanzierungsfähige WG teilbar sind, noch dass |
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mit einzelnen WG verknüpfte, personell aber separierte (Teil-)Risiken in den Bilanzen verschiedener StPfl erfasst werden. |
Fall (1) betrifft die Frage der bilanziellen Teilbarkeit originär einheitlicher materieller beweglicher und unbeweglicher WG sowie immaterieller WG zum einen durch unterschiedliche Nutzungs- und Funktionszusammenhänge von Teilen der WG, zum anderen durch Einräumung dinglicher/obligatorischer Nutzungsrechte. Hohe Praxisrelevanz hat diese Frage generell für Immobilien; die (steuer-)bilanzielle Zerlegung einer Immobilie in eine Mehrzahl selbstständiger WG ist der Regelfall. Darüber hinaus ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen es insb durch Nutzungsrechte an materiellen und immateriellen WG zur Abspaltung ihrerseits selbstständig bilanzierungsfähiger WG kommen kann.
Fall (2) betrifft insb Konstellationen, in denen ein WG bilanziell abgeht, beim Veräußerer gleichwohl Risiken verbleiben, die zwar nicht den wirtschaftlichen Eigentumsübergang hindern, gleichwohl aber zumindest teilweise eine Gewinnrealisation (Bsp Veräußerung eines nicht abnutzbaren WG unter Begründung eines Andienungsrechts des Erwerbers, dh einer Stillhalterverpflichtung des Veräußerers, der bilanziell durch Passivierung einer Verbindlichkeit iH der Stillhalterprämie Rechnung zu tragen ist (BFH v 18.12.2002, I R 17/02, BStBl II 2004, 126), sofern nicht eine sehr hohe Ausübungswahrscheinlichkeit des Andienungsrechts bereits den wirtschaftlichen Eigentumsübergang hindert).
Wie die persone...