Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 489
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Die Rspr und das Schrifttum begegnen dieser Bilanzierungsvorgabe – zunächst unstrukturiert dargestellt – mit Begriffen wie "subjektiver Kenntnisstand, subjektiv Gewusstes, objektiv Wissbares" uÄ. In systematisierter Form wird dabei zwischen zwei Wertaufhellungskonzeptionen unterschieden (BFH BStBl II 2002, 227 u Hommel/Berndt, DStR 2000, 1745). Einzelheiten hierzu unter s Rn 531. Gängig wird über Wertaufhellung gesprochen. Gemeint ist damit immer auch der Ansatz, der auch durch Ereignisse zwischen Stichtag und Erstellung erhellt werden kann.
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Subjektive Aufhellungskonzeption: Die Bilanz ist so zu erstellen, wie sie ein – fiktiver vorsichtiger und ordentlicher – Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände und Verhältnisse am Bilanzstichtag aufgestellt hätte. Die Bilanzierung hat also so zu erfolgen, als ob sie bereits am Bilanzstichtag erstellt worden wäre (so die Vorgabe des RFH v 31.10.1919, RFHE I 1919, 272). |
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Objektive Aufhellungskonzeption: Die Bilanzierung hat so zu erfolgen, wie sich die Verhältnisse am Bilanzstichtag nach dem Kenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzerstellung darstellen. Maßgeblich sind also die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse nach Maßgabe des genannten Kenntnisstandes. So auch das Reichsgericht im Jahr 1912 (zitiert von Hüttemann in FS Priester 2007, 309): "Das Gesetz mutet dem Bilanzierenden nicht zu, sich künstlich unter Außerachtlassung der vorhandenen Nachrichten in einen früheren Erkenntnisstand zurückzuversetzen." |
Rn. 490
Stand: EL 111 – ET: 08/2015
Diese Vorgabe entspricht der menschlichen Psyche: Man kann von niemandem verlangen, sich künstlich dumm zu stellen. Deshalb wird die subjektive Wertaufhellungskonzeption in Reinkultur auch nicht vertreten: Es kommt zwar auf die am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse an – ansonsten wäre das Stichtagsprinzip obsolet geworden –, aber der Kenntnisstand des Kaufmanns über diese Verhältnisse bei Bilanzerstellung ist zu berücksichtigen, und zwar auch unter Einbeziehung dessen, was der Kaufmann bei ordentlichem Verhalten wissen musste. Dann aber ist der Unterschied zur objektiven Aufhellungskonzeption nur mehr theoretischer Art: Sie verlangt bei Bilanzerstellung die Berücksichtigung aller am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse ohne Rücksicht auf den wirklichen oder den fiktiven "ordentlichen" Kenntnisstand.
Beispiel:
Der Kaufmann K stellt Molkereiprodukte her. Er erstellt die Bilanz am 10.02.01. Am 20.02.01 stellt sich die verunreinigte Produktion eines im Dezember produzierten Loses heraus.
Alternative:
Der Kaufmann K erstellt die Bilanz am 20.02.01. Am 10.02.01 stellt sich die verunreinigte Produktion eines im Dezember produzierten Loses heraus.
In der erstgenannten Sachverhaltskonstellation kann man sich folgende Lösungen zurechtlegen:
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Bis zum Erstellungstag war das am Stichtag bestehende schadhafte Produktionslos nicht bekannt. Deshalb ist dies nach beiden Wertaufhellungskonzeptionen nicht zu berücksichtigen. |
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Eine andere Lösung könnte dahin lauten: Ein ordentlicher Kaufmann hätte die Produktion gebührend überwacht. Dann wäre schon am Bilanzstichtag die Fehlerhaftigkeit bekannt (wissbar) gewesen. Erst recht gilt dieses "Wissen müssen" am Erstellungstag. Subjektive und objektive Konzeption kommen so zum gleichen Ergebnis. |
In der Alternative gilt: Nach der objektiven Konzeption ist der vor der Erstellung bekannt gewordene Fehler zu berücksichtigen. Nach der subjektiven Konzeption gilt dasselbe. Die subjektive und objektive Aufhellungskonzeption kommt auch hier zum gleichen Ergebnis.
Rn. 491
Stand: EL 80 – ET: 08/2008
Beispiel:
Nach dem BFH BStBl II 2007, 251 zur Rückstellung bei Altersteilzeit nach dem Blockmodell (s Rn 536) hat der BFH erstmals den entsprechenden Rückstellungsansatz und dessen Bewertung (nach handelsrechtlichen Kriterien) beurteilt. Andere im Schrifttum vorgeschlagene Bilanzansätze sind damit (steuerlich) als "unrichtig" gekennzeichnet worden. Dies gilt allerdings zeitlich erst ab Kenntnisstand dieses Urteils bis zum Erstellungstag der entsprechenden Bilanz. Alle zuvor gefassten Bilanzierungsentscheidungen nach Maßgabe vertretbarer Schrifttumsmeinungen waren bis dahin richtig, und zwar subjektiv und objektiv, weil bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht das danach ergangene Urteil bekannt war.
Rn. 491a
Stand: EL 111 – ET: 08/2015
Die Unergiebigkeit der Differenzierung nach subjektiver und objektiver Aufhellung zeigt sich nicht zuletzt auch in der Rechtsentwicklung (nachzulesen im Einzelnen in der Dissertation von Ciric, Grundsätze ordnungsmäßiger Wertaufhellung, D'dorf 1995 mit Besprechung von Hoffmann, BB 1996, 1157). Als Bsp seien die beiden Wechselobligo-Urt des BFH genannt: In diesen hatte die bilanzierende Unternehmung eine Rückstellung für das latente Risiko aus den am Stichtag noch nicht abgewickelten Wechselindossamenten gebildet. Alle Wechsel waren bis zur Bilanzerstellung vom Schuldner eingelöst worden. In beiden Streitfällen hat d...