Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 606
Stand: EL 174 – ET: 08/2024
Ein WG muss nicht nur in der dargelegten Weise greifbar, sondern zudem einer besonderen ("selbstständigen") Bewertbarkeit zugänglich sein (zB BFH v 09.07.1986, I R 218/82, BStBl II 1987, 14; Moxter, Bilanzrechtsprechung, 8 (6. Aufl 2007)). Das Erfordernis selbstständiger Bewertbarkeit folgt unmittelbar aus dem Grundsatz der Einzelbewertung (§ 252 Abs 1 Nr 3 HGB, s auch § 6 Abs 1 S 1 EStG). Ein vermögenswerter Vorteil ist dann "selbstständig bewertbar", wenn ein gedachter Erwerber des gesamten Unternehmens nicht nur eine ins Gewicht fallende Einzelheit erkennen würde (bilanzielle Greifbarkeit, s Rn 601), sondern für diese im Rahmen des Gesamtpreises unter Fortführungsprämisse auch ein besonderes Entgelt ansetzen würde (zB BFH v 06.12.1978, I R 33/75, BStBl II 1979, 259; BFH v 10.08.1989, X R 176–177/87, BStBl II 1990, 15; ähnlich BFH v 07.08.2000, GrS 2/1999, BStBl II 2000, 632 mwN). Es muss ich um eine objektiv werthaltige Position handeln (zB BFH v 05.06.2008, IV R 67/05, BStBl II 2008, 960). Dass der konkrete Wert im Einzelfall eine Schätzung erforderlich macht, steht der Eigenschaft als WG nicht entgegen (BFH v 17.02.1998, VIII R 28/95, BStBl II 1998, 505 mwN).
Selbstständige Bewertbarkeit liegt nicht vor,
wenn ein lediglich unselbstständiger Bestandteil eines übergeordneten WG vorliegt (BFH v 07.08.2000, GrS 2/99, BStBl II 2000, 632; BFH v 05.06.2008, IV R 50/07, BStBl II 2008, 968) oder eine bloße Eigenschaft eines anderen WG gegeben ist (BFH v 12.03.2020, IV R 9/17, BStBl II 2021, 226: Wärme ist bis zum Inverkehrbringen nur eine Eigenschaft des Energieträgers (Wasser, Gas, Kohle));
aus dem Grundsatz der selbstständigen Bewertbarkeit folgt, dass ein durch Abspaltung entstehendes WG erst dann als solches anzuerkennen ist, wenn es sich zumindest wirtschaftlich bereits verselbstständigt (realisiert) hat; die bloße Abspaltbarkeit reicht nicht aus (BFH v 07.08.2000, GrS 2/99, BStBl II 2000, 632; BFH v 05.06.2008, IV R 67/05, BStBl II 2008, 960; BFH v 05.06.2008, IV R 50/07, BStBl II 2008, 968), dazu s Rn 626, 631;
- wenn kein eigenständiger Folgeverwendungswert vorliegt (zB bei rundfunkrechtlicher Zulassung als höchstpersönlichem Recht, s BFH v 22.03.2022, IV R 13/18, BStBl II 2022, 656 Rz 36; BMF v 18.04.2007, BStBl I 2007, 458: Druckvorlagen bei Tages-/Wochenzeitung, mangels Folgeverwertbarkeit keine ins Gewicht fallende Einzelheit, die bei Unternehmens-Gesamtkaufpreisbemessung berücksichtigt würde; vgl auch BFH v 18.06.1975, I R 24/73, BStBl II 1975, 809).
Die Kriterien Greifbarkeit und selbstständige Bewertbarkeit greifen kaum sinnvoll trennbar unmittelbar ineinander. Zum Teil wird das Kriterium der Greifbarkeit daher nicht als eigenständiges Merkmal, sondern als lediglich konkretisierendes Merkmal der selbstständigen Bewertbarkeit verstanden (so Tiedchen in H/H/R, § 5 EStG Rz 561 (12/2021)). Die BFH-Rspr geht jedenfalls von der Vorbedingung bilanzieller Greifbarkeit für die selbstständige Bewertbarkeit aus (vgl zB BFH v 31.03.1976, I R 85/74, BStBl II 1976, 475 zum Erwerb einer Beteiligung zum Zweck der Liquidation eines Konkurrenten: mangels Vorteil, der als Einzelheit greifbar wäre, liegt kein selbstständig bewertbares WG vor, sondern Aufwendungen auf den eigenen Firmenwert).
Selbstständige Bewertbarkeit meint im Kontext der Abgrenzung eines WG indessen nicht rechnerische Wertbestimmbarkeit (zB finanzierungstheoretischer Art, wie etwa bei auch Komponenten strukturierter Finanzinstrumente möglich, die deshalb aber nicht zu selbstständig aktivierungsfähigen WG werden), vielmehr bestimmt die Verkehrsanschauung, ob ein Vermögenswert einer besonderen Bewertung zugänglich ist (BFH v 16.02.1990, III B 90/88, BStBl II 1990, 794; BFH v 20.06.1990, I R 160/85, BStBl II 1990, 913; BFH v 28.09.1990, III R 77/89, BStBl II 1991, 361; BFH v 04.12.1991, I R 148/90, BStBl II 1992, 383; BFH v 22.01.1992, I R 43/91, BStBl II 1992, 529; BFH v 08.02.1992, XI R 34/88, BStBl II 1992, 893; BFH v 08.02.1996, III R 126/93, BStBl II 1996, 542).
Die Verkehrsanschauung kann regional abweichen (BFH v 08.02.1996, II R 126/93, BStBl II 1996, 542) und auch im Zeitablauf Änderungen unterliegen (zB BFH v 16.02.1990, III B 90/88, BStBl II 1990, 794: zur Einheit von Hard- und Systemsoftware bei Erwerb im Rahmen eines Bundlings ohne gesonderte Preisausweisung:
Zitat
"Es dürfte im Jahre 1980 […] noch der Verkehrsauffassung entsprochen haben, die Hardware zusammen mit der Systemsoftware als Einheit zu betrachten und damit auch nur einen einheitlichen Preis zu berechnen. Eine Verselbstständigung der beiden Märkte trat erst allmählich ein;"
dies wird gleichwohl weiterhin vertreten, vgl BFH v 28.07.1994, III R 47/92, BStBl II 1994, 873; IDW RS HFA 11 nF Tz 6; Roos, BBK 2018, 382; Thiele/Jansen, NWB 2022, 31; Schubert/Huber in Beck-BilKo, § 247 HGB Rz 285 (13. Aufl 2022)). Die Feststellung der Verkehrsanschauung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz (vgl BFH v 08.02.1996, II R 126/93, BStBl II 1996, 542).
Für die Frage de...