Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 453
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Abgrenzung: Bei beweglichen Sachen ist für den Eigentumsübergang grundsätzlich erforderlich, dass der Eigentümer dem Erwerber durch Übergabe den unmittelbaren Besitz an der Sache verschafft (§ 929 BGB). Ist der Eigentümer im Besitz der Sache, kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, dass zwischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis iSd § 868 BGB vereinbart wird, auf dessen Grundlage der Erwerber mittelbaren Besitz erlangt (Besitzkonstitut § 930 BGB). Die zivilrechtliche Eigentumsposition wechselt, der Veräußerer besitzt die Kaufsache sodann (auf Zeit) als unmittelbarer Fremdbesitzer für den Erwerber.
Rn. 453a
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Zurechnungswechsel: Der Ersatz unmittelbaren Besitzes durch Besitzkonstitut steht dem Übergang wirtschaftlichen Eigentums an der Kaufsache grundsätzlich nicht entgegen. Der Veräußerer ist als Fremdbesitzer (auf Zeit) nicht in der Lage, den Erwerber dauerhaft von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Er hat insbesondere kein Recht auf laufende Nutzung oder (nochmalige) Verwertung, dh partizipiert nicht weiter an Wertsteigerungen. Zudem trägt er nicht mehr die Gefahren und Lasten der Sache, dh auch Wertminderungen oder die Gefahr des zufälligen Untergangs gehen nicht mehr zu seinen Lasten.
Ein Zurechnungswechsel setzt allerdings zuvorderst voraus, dass die Kaufsache (insbesondere insoweit es sich um vertretbare WG handelt) eindeutig konkretisiert und identifizierbar ist, dh in der Sphäre des Veräußerers erkennbar separiert wird. Die Rspr hat es demgemäß abgelehnt, nur der Gattung und der Menge nach bezeichnete, nicht konkretisierte Ware, deren Auslieferung der Käufer verlangen, über die er jedoch nicht ohne Mitwirkung seines Lieferanten verfügen kann, in den Warenbestand des Käufers aufzunehmen (BFH vom 09.02.1972, I R 23/69, BStBl II 1972, 563).
Rn. 453b
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Gewinnrealisation: Die Preisgefahr wechselt beim Verkauf einer beweglichen Sache grundsätzlich mit Übergabe (s Rn 421), es sei denn, die Vertragsparteien haben vereinbart, dass ausnahmsweise die Verschaffung mittelbaren Besitzes ausreicht (BFH vom 27.02.1986, IV R 52/83, BStBl II 1986, 552). Mit Vereinbarung eines Besitzkonstituts erfolgt der Gefahrenübergang, damit erfolgt Gewinnrealisation. Gewinnrealisation wird durch die Rspr allerdings dann verneint, wenn die Rechtsfolgen des § 446 BGB (Gefahrenübergang) durch abweichende Vereinbarungen in beachtlichem Umfang außer Kraft gesetzt werden und beim Veräußerer Risiken verbleiben, die über einen realisationsunschädlichen Verbleib bloßer Gewährleistungs- und Forderungsausfallrisiken hinausgehen (vgl BFH vom 27.02.1986, IV R 52/83, BStBl II 1986, 552).
Beispiel Pkw-Erwerb:
K erwirbt von Autohändler V einen Pkw aus dessen Vermögen. K bezahlt in bar und vereinbart mit dem V, dass dieser den Pkw bei der Zulassungsstelle auf K anmelden soll und der Pkw bis dahin auf dem Hof des V stehen bleiben soll. V kennzeichnet den Pkw gut sichtbar als verkauft.
K ist gemäß § 929, 930 BGB mit (konkludenter) Vereinbarung des Besitzkonstituts zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer geworden. V ist als Nicht(mehr)eigentümer nicht (mehr) in der Lage, K dauerhaft von der Einwirkung auf den Pkw auszuschließen. Mit Verschaffung des mittelbaren Besitzes durch Besitzkonstitut hat V den Kaufvertrag erfüllt, die Preisgefahr ist auf K übergegangen, der Anspruch auf die Gegenleistung ist sicher, die Zurechnung wechselt, V realisiert den Veräußerungsgewinn sofort, nicht erst bei Abholung des Pkw nach Umschreibung.
Beispiel Bill and hold sales:
Bill and hold sales sind Verkaufsgeschäfte über bewegliche Sachen, bei denen das rechtliche Eigentum an den Käufer übergeht und dieser die Rechnungsstellung akzeptiert, die Ware auf Verlangen des Erwerbers aber noch nicht ausgeliefert wird. Mit bill and hold sales wird insbesondere bei begrenzten Lagerkapazitäten oder bedarfssynchronem Beschaffungs-/Zulieferkonzept des Erwerbers die Lagerhaltung auf den Veräußerer abgewälzt. Der Veräußerer behält die Ware bis zum Zeitpunkt weiterer Instruktionen des Erwerbers in seinem Besitz und hat sie nach Anweisung des Erwerbers ggf partiell auszuliefern.
Das wirksam vereinbarte, die Rechtsfolgen des § 446 BGB auslösende Besitzkonstitut iVm der Berechtigung des Erwerbers, jederzeit die Auslieferung der Ware zu verlangen und der Verpflichtung des Veräußerers, dem Auslieferungsverlangen Folge zu leisten, ziehen bereits vor dem Zeitpunkt der physischen Übergabe beweglicher WG den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und damit einen Zurechnungswechsel nach sich. Wird die lieferbereite, separierte Ware (noch) nicht ausgeliefert, sondern auf Verlangen des Erwerbers eingelagert und liegt die Entscheidung über das weitere Schicksal ausschließlich beim Erwerber, sind also mittelbarer Besitz nebst Anspruch auf Herausgabe der eingelagerten Ware und Berechtigung zur Weiterveräußerung der Ware übergegangen, ist die Ware dem Erwerber zuzurechnen und seitens des Veräuße...