Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach, Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann
Rn. 456
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Abgrenzung: Der Werkvertrag ist ein gegenseitiges Vertragsverhältnis, in welchem sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werks, der Besteller zur Entrichtung der dafür vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 631 Abs 1 BGB). Der Unternehmer schuldet – in Abgrenzung zum Dienstvertrag – nicht nur die Leistung, sondern auch und gerade den Erfolg (Werkerfolg) der Leistung. Der Anspruch auf Zahlung des Werklohnes ist gemäß § 641 Abs 1 S 1 BGB erst bei Abnahme des Werkes (§ 640 BGB) fällig. Der Auftragnehmer ist nach Konzeption des Werkvertragsrechts grundsätzlich zur Vorleistung verpflichtet (§ 641 Abs 1 BGB, BGH vom 07.03.2013, VII ZR 162/12, NJW 2013, 1431).
Gegenstand eines Werkvertrags kann gemäß § 631 Abs 2 BGB sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein. Damit kommen als Werkvertragsgegenstand insbesondere die Herstellung körperlicher Werke, wie Bauwerke (Wohnungsbau, Industrieanlagenbau), Planungs- und Überwachungsleistungen sowie andere unkörperliche Werke (zB Gutachtenerstattung, Operationen) in Betracht. Im Gegensatz zum Dienstvertrag, bei dem allein das Tätigsein als solches geschuldet wird, hat der Auftragnehmer beim Werkvertrag ein bei Vertragsschluss noch nicht existentes Werk zu schaffen.
Bei körperlichen Werken besteht neben der Verpflichtung zur Herstellung des Werks die Verpflichtung zur Ablieferung des vertragsgemäßen mängelfreien Werks, was sich inzident aus den Regelungen zur Abnahme (§ 640 BGB) ergibt; bei unkörperlichen Werken tritt an die Stelle der Ablieferung idR die Zugänglichmachung des Werkes ((Busche in Münchener Kommentar BGB, § 631 BGB Rz 62 mwN (9. Aufl 2023)).
Rn. 456a
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Zurechnungswechsel: Bei Werklieferungsverträgen, deren Gegenstand die Herstellung beweglicher körperlicher Werke (zB Industrieanlagenbau) ist, verlangt die Rspr für einen Zurechnungswechsel des Werks neben Besitz und Nutzung(smöglichkeit) den Gefahrenübergang und versagt einen (vorzeitigen) Zurechnungswechsel des Werks auf den Besteller, wenn der Gefahrenübergang nicht stattgefunden hat (BFH vom 28.11.2006, III R 17/05, BFH/NV 2007, 975; zu Windkraftanlagen BFH vom 01.02.2012, I R 57/10, BStBl II 2012, 407; BFH vom 06.02.2014, IV R 41/10, BFH/NV 2014, 847; BFH vom 22.09.2016, IV R 1/14, BStBl II 2017, 171). Die Preisgefahr liegt bis zur Abnahme des Werks beim Leistungsverpflichteten (§ 644 Abs 1 S 1 BGB). Erst mit deren Übergang erlangt der Auftraggeber nach Rspr-Wertung wirtschaftliches Eigentum und hat das (die) erlangte(n) WG in seiner Bilanz zu zeigen. Zum Abnahmeerfordernis im Einzelnen (förmlich/konkludent bei einfachen/komplexen Werken) s Rn 180g.
Rn. 456b
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Gewinnrealisation: Die Gewinnrealisation erfolgt bei Werkverträgen nach wirtschaftlicher Erfüllung der geschuldeten Leistung, dh Werkerstellung und Übergang der Preisgefahr, dh ebenfalls mit Abnahme des Werks (BFH vom 08.09.2005, IV R 40/04, BStBl III 2006, 26; BFH vom 29.11.2007, IV R 62/05, BStBl II 2008, 557; BFH vom 24.01.2008. IV R 87/06, BStBl II 2008, 428; BFH vom 07.11.2018, IV R 20/16, BStBl II 2019, 224). Bei geistigen Werken wird die Abnahme durch Billigung ersetzt. Mit der Abnahme (bzw Billigung) wird die vertragsgemäße Leistungserbringung bestätigt. Vor Abnahme (bzw Billigung) des Werks besteht nicht nur das – vereinbarte – Zurechnungsobjekt noch nicht mit Sicherheit, es besteht ebenfalls kein hinreichend sicherer Anspruch auf die Gegenleistung (s auch § 641 Abs 1 S 1 BGB; aA Weber-Grellet in Schmidt, § 5 EStG Rz 608 (42. Aufl 2023): Realisation bei Erfüllung, Abnahme nur Indiz).
Rn. 456c
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Vorrang von Sonderregelungen zum Entgeltanspruch ohne Abnahmeerfordernis: Das Abnahmeerfordernis kann in Werkvertragsfällen Geltung nur beanspruchen, wenn die Wirkungen der Abnahme für das Entstehen eines Entgeltanspruchs nicht durch Sonderregelungen, wie etwa bei Werkleistungen durch eine Gebührenordnung modifiziert werden (BFH vom 14.05.2014, VIII R 25/11, BStBl II 2014, 968). Als eine solche Sonderregelung qualifizierte die Rspr die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) in Fassung vom 21.09.1995 (BGBl I 1995, 1174). Nach § 8 Abs 2 HOAI 1995 hatte der Werkunternehmer in angemessenen zeitlichen Abständen für bereits nachgewiesene Leistungen einen Anspruch auf Abschlagszahlungen. Dieser setzte weder voraus, dass eine Teilabnahme vereinbart worden war, noch dass eine solche tatsächlich erfolgt ist; erforderlich war lediglich, dass der Auftragnehmer die (Teil-)Leistung abnahmefähig erbracht und eine prüfbare Rechnung wie bei der Schlussrechnung vorgelegt hatte.
Ausgehend von dem durch die HOAI modifizierten Entgeltanspruch ohne Abnahmeerfordernis sah der BFH die Abschlagszahlung mit der auftragsgemäßen Erbringung der (Planungs-)Leistung als bereits verdient und "so gut wie sicher" an, da eine Rückforderung ausgeschlossen war, wenn der Auftragnehm...