1. Besteuerungsverfahren eigener Art
Rn. 3
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Neben dem individuellen LSt-Abzug nach den individuellen LSt-Abzugsmerkmalen des ArbN (§ 39b EStG) steht für bestimmte Fälle ein vereinfachtes Pauschalierungsverfahren zur Verfügung. Die pauschalierte LSt ist materiell eine mehr (variabler Pauschsteuersatz) oder weniger (fester Pauschsteuersatz) von der individuellen im Abzugsverfahren zu ermittelnden Steuerschuld des ArbN abgeleitete Steuer, die formell dadurch von der Steuerschuld des ArbN abgekoppelt ist, dass der ArbG alleiniger Schuldner der LSt wird und die pauschale LSt wie auch der pauschal besteuerte Arbeitslohn bei der ESt-Veranlagung außer Ansatz bleiben (§ 40 Abs 3 S 3 EStG).
Rn. 4
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Die Eigenständigkeit des Pauschalierungsverfahrens kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der ArbN in dieses Verfahren nicht unmittelbar eingeschaltet ist. Das Wahlrecht, den Arbeitslohn zu pauschalieren, steht allein dem ArbG zu. Eine fehlerhafte Pauschalversteuerung hat keine Bindungswirkung für die ESt-Veranlagung für den ArbN (BFH v 10.06.1988, BStBl II 1988, 981). Vielmehr ist bei einer fehlgeschlagenen Pauschalierung der Arbeitslohn in die ESt-Veranlagung des ArbN einzubeziehen, ohne dass die vom ArbG abgeführte pauschale LSt auf die ESt-Schuld anzurechnen ist (FG Münster v 01.03.2021, 9 K 3046/18 E, DStR 2021, 1355).
Rn. 5
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Durch die Pauschalierung wird der ArbG formell gesehen alleiniger Steuerschuldner. Materiell-rechtlich hingegen handelt es sich um eine Steuer, die dadurch entsteht, dass der ArbN eine nichtselbstständige Arbeit mit Einkunftserzielungsabsicht ausübt und damit einen Besteuerungstatbestand iSd § 38 AO verwirklicht. Die pauschale LSt ist durch die Tatbestandsverwirklichung des ArbN – also dem Zufluss von Arbeitslohn – entstanden und wird vom ArbG lediglich übernommen (BFH v 14.12.2021, VII R 32/20, BFH/NV 2022, 692).
Das Wort "übernehmen" in § 40 Abs 3 S 1 EStG verdeutlicht nach der mE richtigen Auffassung des BFH, dass die Steuerschuld zunächst in der Person des ArbN entsteht (so auch bestätigend BFH v 06.05.1994, VI R 47/93, BStBl II 1994, 715). Sie kann aber mit für den ArbN befreiender Wirkung vom ArbG übernommen werden, wenn die Voraussetzungen für die Pauschalierung der LSt erfüllt sind. Die Übernahme der LSt durch den ArbG im Verhältnis zum FA ermöglicht die arbeitsrechtliche Abwälzung der pauschalen LSt auf den ArbN, jedoch bestimmt § 40 Abs 3 S 2 EStG für diesen Fall, dass hierdurch die Bemessungsgrundlage nicht gemindert wird.
2. Folgen des eigenständigen Verfahrens
a) Steuerbescheid
Rn. 6
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Nach§ 40 Abs 3 S 2 EStG ist der ArbG Schuldner der pauschalen Steuer. Der ArbG haftet damit nicht nur für eine fremde Schuld (vgl § 42d EStG), sondern leistet in den Fällen der Pauschalierung auf eine eigene Steuerschuld. Daher ist der Pauschalierungsbescheid für den ArbG ein Steuer- und kein Haftungsbescheid. Haftungs- und Pauschalierungsbescheid haben unterschiedliche Rechtsfolgen und unterliegen unterschiedlichen Vorschriften.
Rn. 7
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Die Pauschalierung hat Abgeltungs-, die Haftung insoweit nur Anrechnungswirkung. Ist LSt nachzuerheben, weil sie vom ArbG nicht vorschriftsgemäß einbehalten wurde, kommt eine Inanspruchnahme des ArbG durch Haftungsbescheid oder Nachforderungsbescheid (Steuerbescheid für die Pauschalierung) in Betracht. Beide Bescheide lösen unterschiedliche Rechtsfolgen aus. Das Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit schließt es daher aus, dass vom ArbG pauschalierte LSt und LSt, für die er haftet, mit einheitlichem Bescheid angefordert werden (BFH v 28.01.1983, BStBl II 1983, 472). Zulässig ist es jedoch, dass das FA auf einem einheitlichen Vordruck – also lediglich äußerlich zusammengefasst – beide Bescheide erlässt. Rein rechtlich handelt es sich weiterhin um getrennte VA mit unterschiedlichen Folgen (BFH v 16.11.1984, BStBl II 1985, 266 und BFH v 01.09.2021, BFH/NV 2022, 321); s Rn 70ff.
Zur verfahrensmäßig missglückten Inanspruchnahme bei unklarem Bescheid s Rn 70ff. Zum Anspruch des ArbG auf Inanspruchnahme durch Pauschalierungs- anstelle eines Haftungsbescheids s Rn 64ff.
Rn. 8
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Die Änderung eines Pauschalierungsbescheids erfolgt nach den Vorschriften, die für Steuerbescheide gelten (§§ 172ff AO), und nicht nach denen für Haftungsbescheide (§§ 130ff AO), denn beide Bescheide sind verfahrensrechtlich unabhängig voneinander. Die Berufung auf eine unzutreffende Vorschrift als Änderungsgrundlage ist aber unschädlich, wenn sich die Änderungsbefugnis aus einer anderen Vorschrift ergibt. Sofern ein noch nicht erfasster Sachverhalt besteuert werden soll, kann dies durch einen, den bisherigen Pauschalierungsbescheid unberührt lassenden Erstbescheid erfolgen, da Pauschalierungsbescheide wie Haftungsbescheide sachverhaltsbezogene und nicht zeitraumbezogene Regelungen treffen und nicht in einem Verhältnis von Grundlagen- zu Folgebescheid zueinander stehen; auch s Rn 79.
Rn. 9
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Nach der Aufhebung des Vorbehalts der Nachpr...