1. Unterscheidung gegenüber Haftungsbescheiden
Rn. 70
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Pauschalierungs- und Haftungsbescheide unterscheiden sich inhaltlich insofern,
- als mit dem Haftungsbescheid gegenüber dem ArbG die Summe der von den einzelnen ArbN nach ihren LSt-Abzugsmerkmalen geschuldeten LSt-Abzugsbeträge geltend gemacht wird,
- während mit dem Pauschalierungsbescheid vom ArbG auf den Arbeitslohn der betroffenen ArbN ein Durchschnitts- oder fester Pauschsteuersatz erhoben wird, der mit der genannten Summe in aller Regel nicht identisch ist.
Wegen des unterschiedlichen Rechtscharakters (Haftung gegenüber Steuerschuld), des betragsmäßigen Unterschieds und insbesondere wegen der Tatsache, dass die Pauschalierung abgeltende Wirkung hat, muss aus dem Bescheid ersichtlich sein, ob es sich um einen Haftungs- oder Pauschalierungsbescheid handelt, vgl BFH v 29.04.1983, BStBl II 1983, 517; BFH v 02.12.1983, BStBl II 1984, 362; BFH v 16.11.1984, BStBl II 1985, 266; BFH v 01.09.2021, BFH/NV 2022, 321; auch s § 42d Rn 5ff (Nacke).
Ein Bescheid, in dessen Tenor der ArbG vom FA als Haftender in Anspruch genommen wird, dessen Begründung aber eindeutig auf die Festsetzung einer pauschalen LSt hinweist, ist unwirksam.
a) Auslegungskriterien
Rn. 71
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Welche Art von Bescheid vorliegt, richtet sich nach Ansicht des BFH in erster Linie nach dem Tenor (Ausspruch, Verfügungs- oder Entscheidungssatz) des Bescheides (BFH v 28.01.1983, BStBl II 1983, 472 und BFH v 01.09.2021, BFH/NV 2022, 321), wird sodann aber auch nach seiner Überschrift und seiner Begründung ausgelegt (BFH v 15.03.1985, BStBl II 1985, 581). Hinsichtlich der Begründung kann neben dem, was im Bescheid selbst steht, auch auf einen beigefügten Außenprüfungsbericht abgestellt werden (BFH BFH/NV 1985, 110; 1986, 517) und schließlich auf einen nicht beigefügten, sondern bereits vor Ergehen des Bescheides bekannt gegebenen Bericht, auf den Bezug genommen wird (BFH BStBl II 1985, 664 unter III.1. aE; BFH BFH/NV 1986, 308). Zweifel bzw Unklarheiten zur Auslegung eines Bescheids gehen zu Lasten der Behörde (BFH v 01.09.2021, BFH/NV 2022, 321). Jedoch müssen sich die Gründe aus dem Bescheid selbst ergeben, zB einem ihm beigefügten Auszug aus einem Prüfungsbericht, der damit Bestandteil des Bescheides wird, oder auf ein Bezug genommenes Schreiben, weil der Bescheid als Hoheitsakt aus sich selbst heraus verständlich sein muss.
Ist aber die in einem Prüfungsbericht gegebene Begründung zur Auslegung des verfügenden Teils des VA heranzuziehen, so müsste entgegen BFH BStBl II 1983, 472 auch eine sich aus dem Prüfungsbericht ergebende Aufteilung in eine Pauschalierungs- und eine Haftungsschuld möglich sein; dazu s Rn 73 (zu einer sich aus dem Prüfungsbericht ergebenden falsa demonstratio BFH BStBl II 1985, 170 unter 2.a.cc.). Des Weiteren dürfte, wenn der Bericht Gegenstand des Bescheides ist, keine dem Bericht entgegenstehende Bindung an tatsächliche Feststellungen eintreten (vgl BFH BStBl II 1983, 472 unter 2.d.), da der BFH den angefochtenen VA selbst auszulegen hat.
Zur Bestimmung des Regelungsgehalts kann der gesamte Inhalt des VA, einschließlich seiner Begründung sowie beigefügter Erläuterungen zur Auslegung herangezogen werden, Pahlke/König, § 157 AO Rz 10. Danach genügt für einen LSt-Pauschalierungsbescheid die Angabe des Sachverhaltskomplexes, auf dem die Erhebung beruht (Pahlke/König, aaO, Rz 13 mwN).
b) Rechtsfolgen
Rn. 72
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Kann im Wege der Auslegung nicht festgestellt werden, ob ein Haftungs- oder ein Pauschalierungsbescheid vorliegt bzw sind Haftungs- und Pauschalierungsschuld untrennbar verbunden, so ist der Bescheid unwirksam, dh auf einen Rechtsbehelf hin aufzuheben; aA Klein, § 119 AO Rz 5 mit Hinweis auf BFH BFH/NV 1987, 19; 2010, 1606. Dagegen scheint der BFH keine Nichtigkeit anzunehmen, weil er einen solchen unbestimmten Bescheid nur im Umfang rechtzeitig gestellter Anträge aufhebt und bei Klageerweiterung, etwa nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, im Übrigen abweist, BFH BFH/NV 1987, 514; vgl auch BFH BStBl II 1989, 12.
Zum Unterschriftserfordernis bei einem Haftungs- oder Pauschalierungsbescheid s BFH BStBl II 1986, 169.
Eine Umdeutung in das richtigerweise Gemeinte ist nicht möglich, BFH BStBl II 1985, 170.
Auch für die Behörde ist die inhaltliche Bestimmtheit wichtig, damit sie weiß, was sie ggf mit Zwangsmitteln bei dem Betroffenen durchsetzen kann (Klein, § 119 AO Rz 5). Aus dem VA muss eindeutig zu entnehmen sein, an wen er sich richtet, gegen wen und für wen er seine Wirkungen entfaltet (BFH v 08.04.1986, BFH/NV 1986, 647).
An Haftungsbescheide werden von der Rspr hinsichtlich der Bestimmtheit je nach Art und Umstand geringere Anforderungen als ein einen Steuerbescheid gestellt, Klein, § 119 AO Rz 15.
Rn. 73
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Kein unbestimmter Bescheid liegt vor, wenn ein wegen jeweils unterschiedlicher Sachverhalte ergangener Haftungs- und Pauschalierungsbescheid lediglich äußerlich in einer Verfügung zusammengefasst werden. Es handelt sich um zwei selbstständige Bescheide, die auch ve...