ca) Umfang der Anfechtung
Rn. 74
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Der BFH hat zu Haftungsbescheiden, in denen zu mehreren Sachverhaltskomplexen LSt nachgefordert worden ist, entschieden, dass es sich um eine äußerliche Zusammenfassung einer Mehrzahl von VA handle, die getrennt voneinander beurteilt werden und die rechtlich eigene Wege gehen können (Sammelhaftungsbescheid), BFH v 04.07.1986, BStBl II 1986, 921. Danach wachsen bei Anfechtung nur einzelner Sachverhalte die übrigen in Bestandskraft.
Bei Pauschalierungsbescheiden besteht die Besonderheit, dass durch die Steuerberechnung eine Verknüpfung entsteht: Der feste bzw Durchschnittspauschsteuersatz wird auf die Löhne aller betroffenen ArbN angewendet, unabhängig davon, ob sich bei individueller Beurteilung bei einzelnen ArbN gar keine, bei anderen eine wesentlich höhere Steuer ergeben würde. Außerdem bestehen Bedenken, einen einheitlichen Bescheid in eine Vielzahl einzelner Bescheide zu zerlegen, wenn sich eine Aufteilung nicht aus dem Bescheid selbst ergibt.
Die erwähnte Teilbestandskraft wird daher bei Pauschalierungsbescheiden nur anzunehmen sein, wenn der Bescheid eine entsprechende Trennung vorgenommen hat und der Rechtsbehelf eindeutig nur einen Teilbereich trifft.
Wird bei einem in einer Verfügung zusammengefassten Haftung- und Pauschalierungsbescheid nur der Haftungsbescheid angefochten, erwächst der Pauschalierungsbescheid in Bestandskraft. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, s Krüger in Schmidt, § 40 EStG Rz 27 (41. Aufl).
cb) Heilung im Einspruchsverfahren
Rn. 75
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Ist unklar, ob ein Bescheid eine Haftungs- oder Pauschalierungsschuld beinhaltet, kann dies in der Einspruchsentscheidung "geheilt" werden. Das ist aber nicht der Fall bei bloßer Zurückweisung des Einspruchs und Erläuterung in den Gründen, was seitens des FA gewollt war, da hierdurch keine inhaltliche Änderung erfolgt, BFH BFH/NV 1985, 85. Anders verhält es sich, wenn insbesondere bei betragsmäßiger Änderung, aber auch ohne sie, im verfügenden Teil unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides nunmehr statt eines Haftungs- ein Pauschalierungsbescheid oder umgekehrt bzw statt eines ungewissen zwei nur äußerlich verbundene Bescheide (Haftungs- und Pauschalierungsbescheid) ergehen.
Damit beinhaltet die Einspruchsentscheidung ggf einen oder zwei Erstbescheide, die mit der Klage angefochten werden können, weil über den strittigen Sachverhalt bereits ein Vorverfahren stattgefunden hat, BFH v 04.11.1987, BStBl II 1988, 377. Allerdings muss dem ArbG auch die Wahl verbleiben, gegen die Einspruchsentscheidung nochmals Einspruch einzulegen, damit ihm keine Überprüfungsinstanz verlorengeht.
cc) Heilung im Klageverfahren
Rn. 76
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Wird ein inhaltlich unbestimmter Bescheid im Klageverfahren durch förmlichen Änderungsbescheid ersetzt, liegt hierin zwar keine Heilung. Der Kläger kann den Änderungsbescheid aber zum Gegenstand des Verfahrens machen, § 68 FGO. Ob der geänderte Bescheid fehlerhaft war, ist dann nicht mehr von Bedeutung. Insbesondere kann sich der Kläger nicht mehr darauf berufen, es habe ein Änderungsbescheid nicht ergehen dürfen, da ein Erstbescheid – wegen dessen Unwirksamkeit – nicht vorgelegen habe, BFH BFH/NV 1986, 86. Vgl auch BFH v 09.09.1986, BStBl II 1987, 28, zu § 68 FGO, wonach ein GewSt-Messbescheid für Vorauszahlungszwecke durch einen GewSt-Messbescheid für das Kj im Klageverfahren ersetzt werden kann.
Ob im Klageverfahren ein Pauschalierungsbescheid durch einen Haftungsbescheid nach § 68 FGO ersetzt werden kann, ist strittig: bejahend Krüger in Schmidt, § 40 EStG Rz 28 (41. Aufl), wonach es nicht auf die Nämlichkeit der beiden VA ankommt (mit Verweis auf BFH v 09.09.1986, aaO); aA Thürmer in Brandis/Heuermann, § 40 EStG Rz 118 (161. EL März 2022), da der Haftungsbescheid ein anderer Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sei und den Pauschalierungsbescheid nicht ersetze.
Aufgrund der unterschiedlichen Folgen eines Haftungs- und Pauschalierungsbescheids ist mE tendenziell der Auffassung zu folgen, dass im Klageverfahren der Pauschalierungsbescheid nicht mehr ersetzt werden kann. Dies muss auch im umgekehrten Falle gelten.