Rn. 43

Stand: EL 158 – ET: 06/2022

Der ArbN kann iRd Gesamtschuldnerschaft nur dann in Anspruch genommen werden, wenn

  • der ArbG die LSt nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat (§ 42d Abs 3 S 4 Nr 1 EStG);
  • der ArbN weiß, dass der ArbG die einbehaltene LSt nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Dies gilt nicht, wenn der ArbN den Sachverhalt dem FA unverzüglich mitgeteilt hat (§ 42d Abs 3 S 4 Nr 2 EStG).

Die Fassung des § 42d Abs 3 S 4 EStG ist insofern irreführend, als sie den Anschein erweckt, die Inanspruchnahme des ArbN sei der Ausnahmefall, der hinter der Geltendmachung der ArbG-Haftung zurücktrete. Das ist aber nicht der Fall. Durch § 42d Abs 3 S 4 EStG wird nicht der Grundsatz des § 38 Abs 2 S 1 EStG eingeschränkt, wonach der ArbN der Schuldner der LSt ist (BFH BStBl II 1985, 660). § 42d Abs 3 S 4 EStG regelt nur, wer von beiden – ArbN oder ArbG – als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden kann. Als Steuerschuldner kann der ArbN daher stets in Anspruch genommen werden, wenn die LSt nicht richtig einbehalten worden ist. Das FA muss insofern iRd Veranlagungsverfahrens bzw im Nachforderungsverfahren keine Ermessenserwägungen anstellen, ob es den ArbN in Anspruch nehmen kann (BFH BStBl II 1985, 660; BFH/NV 2016, 1540; aA FG Bre v 21.10.2020, 1 V 82/20 (5), zum Nachforderungsbescheid).

Bei nicht vorschriftsmäßiger Einbehaltung der LSt durch den ArbG (§ 42d Abs 4 Nr 1 EStG) kann der ArbN unabhängig davon als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden, ob ihm die nicht vorschriftsmäßige Einbehaltung bekannt war oder nicht. Wurde dagegen die LSt ordnungsgemäß vom ArbG einbehalten, so kommt eine Inanspruchnahme des ArbN nicht mehr in Betracht. Im Fall der korrekten Einbehaltung oder im Fall der Barlohnzahlung bei einer Nettolohnvereinbarung (s BFH BFH/NV 2014, 181) ist der LSt-Anspruch des FA gegen den ArbN erfüllt. Das FA kann auch die vom ArbG aufgrund einer (unrichtigen) Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte LSt nicht vom ArbN nach § 42d Abs 3 S 4 Nr 1 EStG nachfordern (BFH BStBl II 2014, 892; H 42d.1 LStH 2021 "Inanspruchnahme des ArbN").

Die LSt-Schuld des ArbN erlischt nach § 47 AO (BFH BStBl II 1986, 186; 2001, 195). Der ArbN hat die Einbehaltung durch den ArbG zu dulden. Er wird so gestellt, als hätte er selbst die LSt zum Zwecke der Erfüllung an den ArbG geleistet. Damit ist die LSt iSv § 36 Abs 2 Nr 2 EStG "erhoben" (BFH BStBl II 1993, 182). Weiterhin hat dies zur Folge, dass die einbehaltene LSt iRd Veranlagung beim ArbN angerechnet werden muss. Dies geschieht unabhängig davon, ob der ArbG die LSt an das FA abgeführt hat.

Ist dem ArbN bekannt, dass der ArbG die einbehaltene LSt nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, kann er als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Es ist positive Kenntnis des ArbN darüber erforderlich, dass der ArbG die einbehaltene LSt nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat; ein bloßer Verdacht reicht nicht aus (glA Gersch in H/H/R, § 42d EStG Rz 85, November 2018; Trzaskalik in K/S/M, § 42d EStG Rz D 19). Der ArbN kann sich aber von der Möglichkeit der Inanspruchnahme dadurch befreien, dass er dem FA den Sachverhalt unverzüglich mitteilt. Der ArbN kann nach § 42d Abs 3 Nr 2 EStG nicht in Anspruch genommen werden, wenn die LSt vorschriftsmäßig einbehalten, jedoch ohne sein Wissen nicht vorschriftsmäßig angemeldet und abgeführt worden ist (BFH BStBl II 1975, 420).

 

Rn. 44

Stand: EL 158 – ET: 06/2022

Bei nachgewiesener Nettolohnvereinbarung darf der ArbN nach BFH BStBl II 1969, 525; 1986, 186, 1990, 610 nur unter der Voraussetzung des § 42d Abs 3 S 4 Nr 2 EStG in Anspruch genommen werden. Der Tatbestand der Nr 1 ist nicht erfüllt, weil aus der Sicht des ArbN die LSt vorschriftsmäßig einbehalten ist, wenn er den Arbeitslohn mit dem Nettobetrag, auf den er Anspruch hat, erhalten hat.

Der ArbN muss allerdings das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung beweisen (BFH BStBl III 1957, 116; HFR 1961, 230; BFH BFH/NV 2014, 181). Da die steuerrechtliche Nettolohnvereinbarung einen Sonderfall des LSt-Regelabzuges darstellt, ist Voraussetzung für die aus § 42d Abs 3 S 4 EStG abgeleitete Tilgungsannahme, dass der ArbN dem ArbG vor Durchführung des LSt-Abzugs eine – ggf weitere (vgl § 38b Abs 1 Nr 6 EStG) – LSt-Karte ausgehändigt bzw LSt-Abzugsmerkmale angegeben hat (BFH BFH/NV 2014, 181). Denn der ArbN darf nur dann von einem vorschriftsmäßigen LSt-Einbehalt ausgehen, wenn dem ArbG die für den LSt-Abzug erforderlichen LSt-Abzugsmerkmale vorliegen, vgl auch BFH BStBl II 1992, 733. Vgl auch BFH BStBl II 1976, 543 mit eingehender Anmerkung in HFR 1976, 167, 207.

Wird der ArbN veranlagt und behauptet er das Vorliegen von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit mit Nettolohnvereinbarung, nahm der angebliche ArbG aber Einkünfte aus selbstständiger Arbeit an, sodass er keine LSt einbehielt und abführte, so muss die Frage, was vorlag, nach BFH BStBl II 1972, 816 im Veranlagungsverfahren des ArbN untersucht werden. Ergibt sich nämlich, dass Einkünfte aus selbstständiger Arb...

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