Rn. 74
Stand: EL 166 – ET: 08/2023
Da die Anrufungsauskunft ein feststellender VA ist, entfaltet sie Bindungswirkung bis zu ihrer Aufhebung (Rücknahme und Widerruf, vgl BMF vom 12.12.2017, BStBl I 2017, 1656 Tz 15) oder Änderung, Heuermann in Brandis/Heuermann, § 42e EStG Rz 38 (Mai 2022). Auch kann die Anrufungsauskunft befristet erteilt werden, BMF vom 12.12.2017, BStBl I 2017, 1656 Tz 9.
§ 42e EStG enthält keine Regelung über die Änderung und Aufhebung der Anrufungsauskunft. Diese Regelungslücke ist durch analoge Anwendung des § 207 Abs 2 AO zu schließen. Die Korrekturvorschriften des §§ 130und § 131 AO finden keine Anwendung, da sie dem Erfordernis, im Fall eines vorverlagerten Verwaltungshandelns eine erleichterte Korrekturmöglichkeit zu eröffnen, nicht gerecht werden, BFH vom 02.09.2010, VI R 3/09, BStBl II 2011, 233; Heuermann in Brandis/Heuermann, § 42e EStG Rz 41 (Mai 2022); aA Hummel in K/S/M, § 42e Rz A 15 (Februar 2020): §§ 130ff AO anwendbar.
Das Betriebsstätten-FA kann eine formell und materiell rechtmäßige Anrufungsauskunft nach pflichtgemäßem Ermessen aufheben oder ändern. Hat der StPfl, bei dem ein besonderes steuerliches Interesse an der Anrufungsauskunft besteht, sein Vertrauen in die Anrufungsauskunft bereits betätigt, kommt eine Aufhebung oder Änderung einer formell und materiell rechtmäßigen Anrufungsauskunft in der Regel nicht in Betracht. Ein besonderer sachgerechter Anlass für die Aufhebung oder Änderung einer rechtmäßigen Anrufungsauskunft ist jedoch dann gegeben, wenn sich zu der die Auskunft betreffenden Rechtsfrage die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung ändert oder die –gegebenenfalls von der Rechtsprechung abweichende – allgemeine Verwaltungsauffassung und diese Änderung ihren Niederschlag in allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder die FinVerw bindenden Anwendungsschreiben (zB Schreiben des BMF oder einer Verfügung einer OFD) findet, BFH vom 02.09.2020, VI R 3/09, BStBl II 2011, 233; BFH vom 02.09.2021, VI R 19/19, BStBl II 2022, 136; Krüger in Schmidt, § 42e EStG Rz 12 (42. Aufl); Krüger, DB 2022, 25.
Die Aufhebung oder Änderung kann nur für die Zukunft erfolgen, BFH vom 02.09.2010, VI R 3/09, BStBl II 2011, 233; BMF vom 12.12.2017, BStBl I 2017, 1656 Tz 13. Für die Ausübung des Ermessens gelten die allgemeinen Grundsätze, Heuermann in Brandis/Heuermann, § 42 EStG Rz 40 (Mai 2022). Abzuwägen ist dabei insbesondere das Vertrauen des StPfl in die Einhaltung der Anrufungsauskunft mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des "richtigen Rechts" verlangt, BFH vom 02.09.2010, VI R 3/09, BStBl II 2011, 233; BFH vom 09.09.2021, VI R 19/19, BStBl II 2022, 136. War die dem ArbG ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft rechtmäßig, ist deren Aufhebung oder Änderung ermessensfehlerhaft, wenn das FA zu Unrecht von deren Rechtswidrigkeit ausgeht, BFH vom 02.09.2021, VI R 19/19, BStBl II 2022.
Rn. 75
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Auch die Aufhebung der Anrufungsauskunft stellt einen feststellenden VA iSd § 118 Abs 1 AO dar, BFH vom 02.09.2010, VI R 3/09, BStBl II 2011, 233; BFH vom 02.09.2021, VI R 19/19, BStBl II 2022, 136; Bleschick in H/H/R, § 42e EStG Rz 26 (Dezember 2020). Der Inhalt des Widerrufs der LSt-Anrufungsauskunft besteht in der Negation der zuvor erteilten Auskunft und somit in der Mitteilung des FA, dass es die zuvor vertretene Auffassung nicht mehr vertritt, BFH vom 15.01.2015, VI B 103/14, BStBl II 2015, 447; Heuermann in Brandis/Heuermann, § 42e EStG Rz 41 (Mai 2022).
Der Bescheid über die Aufhebung der Anrufungsauskunft ist als feststellender VA ist nicht vollziehbar. Damit ist ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der erteilten Anrufungsauskunft nicht statthaft, BFH vom 15.01.2015, VI B 103/14, BStBl II 2015, 447; OFD Frankfurt vom 05.08.2015, S 2388 A – 04 – St 222 (Widerruf einer LSt-Anrufungsauskunft). Der ArbG kann jedoch gegen die LSt-Anmeldung, der er die vom FA im Rahmen der erteilten Anrufungsauskunft vertretene Auffassung zugrunde gelegt hat, Einspruch einlegen und Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragen, Bleschick in H/H/R, § 42e EStG Rz 28 (Dezember 2020).
Rn. 76
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Die Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft entfällt mit Wirkung für die Zukunft, wenn sich der konkrete Sachverhalt in wesentlichen Punkten ändert. Gleiches gilt dann, wenn sich die der Auskunft zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften ändern, BFH vom 09.03.1965, VI 109/62 U, BStBl III 1965, 426; FG D'dorf vom 08.05.2003, 15 K 1455/00 H (L), EFG 2003, 1105. Die Bindungswirkung entfällt in diesem Fall mit der Änderung des Sachverhalts bzw dem Inkraftreten der Gesetzesänderung; eines förmlichen Widerrufs oder einer Mitteilung an den StPfl bedarf es nicht, insoweit erfolgt eine analoge Anwendung des 207 Abs 1 AO, BMF vom 12.12.2017, BStBl I 2017, 1656, Tz 13; aA Bleschick in H/H/R, § 42e EStG Rz 26 (Dezember 2020; Heuermann in Brandis/Heuermann, § 42e EStG Rz 40 (Mai 2022): Änderung oder Aufhebung der Anrufungsa...