Rn. 90

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Die Freistellungsbescheinigung kann, wenn sie rechtswidrig ist, unter den Voraussetzungen des § 130 Abs 2 AO mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die vergangenheitsbezogene Rücknahme hat zur Folge, dass die Steuerabzugsverpflichtung für den Leistungsempfänger nachträglich wieder auflebt (Tz 77 BMF BStBl I 2022, 1229).

Da der Leistungsempfänger im Hinblick auf die ihm vorgelegte Freistellungsbescheinigung von einem Steuereinbehalt Abstand genommen haben wird, stellt sich die Frage der Haftung gemäß § 48a Abs 3 EStG. Nach § 48a Abs 3 S 2 EStG darf der Leistungsempfänger grds auf die Rechtmäßigkeit einer ihm vorgelegten Freistellungsbescheinigung vertrauen, so dass keine Haftung in Betracht kommt. Dies ist auch sachgerecht, weil dem Leistungsempfänger in den Fällen einer nachträglichen Rücknahme im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung keine Instrumente zur Verfügung stehen, mit denen er die Rechtswidrigkeit der Freistellungsbescheinigung ermitteln kann. Insbesondere führt die Onlineabfrage beim BZSt nicht weiter, weil die Freistellungsbescheinigung im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung noch als gültig registriert ist.

Etwas anderes gilt nach § 48a Abs 3 S 3 EStG dann, wenn die Freistellungsbescheinigung durch unlautere Mittel oder durch falsche Angaben erwirkt wurde und dem Leistungsempfänger dies bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Zu den Einzelheiten s § 48a Rn 83ff (Wienbergen).

Zur Frage, ob der Leistungsempfänger, nachdem er von der Rücknahme der Freistellungsbescheinigung Kenntnis erhalten hat, verpflichtet ist, von zukünftigen Gegenleistungen an den Leistenden einen kompensatorischen Steuereinbehalt vorzunehmen s § 48 Rn 176 (Wienbergen).

 

Rn. 91

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Die Freistellungsbescheinigung kann, wenn sie im Zeitpunkt des Erlasses rechtmäßig war, unter den Voraussetzungen des § 131 Abs 2 AO mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Dies ist zB möglich, wenn das FA aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet werden würde (§ 131 Abs 2 S 1 Nr 3 AO). Die Einstellung des Betriebs ist kein Grund für den Widerruf der Freistellungsbescheinigung, wenn es sich nicht um eine Gewerbeuntersagung handelt (OFD Münster v 25.02.2002, S 2303–2-St 13–31, EStG-Kartei NW §§ 4848d EStG Nr 3001, BB 2002, 1469 Abschnitt II).

Ab dem Zeitpunkt des Widerrufs hat der Leistungsempfänger den Steuereinbehalt wieder vorzunehmen. Geschieht dies nicht, weil der Leistungsempfänger von dem Widerruf keine Kenntnis erhalten hat, greift im Hinblick auf die Haftungsfrage wiederum die Gutglaubensvorschrift des § 48a Abs 3 S 2 EStG ein. Auch die Einschränkung in § 48a Abs 3 S 3 EStG gilt. Bei dieser Fallgruppe führt eine Abfrage beim BZSt allerdings zur Klarheit, weil die Freistellungsbescheinigung im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung nicht mehr gültig ist. Das Unterlassen der Abfrage ist allerdings kein Umstand, der den Vertrauensschutz bereits entfallen lässt (s § 48a Rn 89 (Wienbergen)).

 

Rn. 92

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

Ist die Freistellungsbescheinigung auftragsbezogen erteilt worden, ist dem FA der Leistungsempfänger bekannt. Für diese Fälle sieht § 48b Abs 4 EStG vor, dass die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung dem Leistungsempfänger mitzuteilen ist.

Ab dem Zeitpunkt der Mitteilung, dass die Freistellungsbescheinigung aufgehoben worden ist, hat der Leistungsempfänger Kenntnis davon, dass er wieder verpflichtet ist, den Steuereinbehalt vorzunehmen. Geschieht dies dennoch nicht, haftet der Leistungsempfänger gemäß § 48a Abs 3 S 1 EStG. Der Vertrauensschutz gemäß § 48a Abs 3 S 2 EStG, der durch die Vorlage der Freistellungsbescheinigung entstanden ist, wird durch die Mitteilung über die Aufhebung der Freistellungsbescheinigung zerstört.

 

Rn. 93–94

Stand: EL 160 – ET: 10/2022

vorläufig frei

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