Rn. 41
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Neben den Fallgruppen, die in § 48b Abs 1 S 2 EStG ausdrücklich aufgeführt worden sind, kann es weitere Fallkonstellationen geben, bei denen eine Gefährdung der zu sichernden Steueransprüche in Betracht kommt ("insbesondere"; vgl BFH I B 147/02, BStBl II 2003, 716; FG Bln v 21.12.2001, 8 B 8408/01, EFG 2002, 330; FG D'dorf v 04.03.2002, 10 V 1007/02 AE (E), EFG 2002, 688; FG He v 22.03.2002, 2 V 548/02, DStRE 2003, 656; FG Nds v 18.04.2002, 6 V 55/02, EFG 2002, 842; FG Münster v 02.08.2002, 2 V 1006/02 E; FG D'dorf v 22.08.2002, 14 K 1418/02 E, EFG 2002, 1604).
Ebenso wie bei den in § 48b Abs 1 S 2 EStG aufgezählten Bsp ist auch bei den weiteren schädlichen Fallkonstellationen eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls durchzuführen, die daran ausgerichtet ist, ob die zu sichernden Steueransprüche gefährdet erscheinen (FG Ha v 06.03.2003, II 47/03, DStRE 2003, 928; FG Ha v 30.03.2010, 6 K 243/09, EFG 2010, 1517).
Folgende Fallkonstellationen können schädlich sein:
- der Leistende hat nachhaltige und wiederholt Steuerrückstände (Tz 32 BMF BStBl I 2022, 1229; FG D'dorf v 22.08.2002, 14 K 1418/02 E, EFG 2002, 1604),
- der Leistende hat unzutreffende Angaben in Steuererklärungen oder Steueranmeldungen gemacht (Tz 32 BMF BStBl I 2022, 1229; FG Münster v 02.08.2002, 2 V 1006/02 E),
- der Leistende hat Steuererklärungen oder Steueranmeldungen wiederholt und nicht entschuldbar nicht oder nicht vollständig oder nicht rechtzeitig abgegeben (BR-Drucks 297/00, 5; BT-Drucks 14/4658, 12; FG D'dorf v 04.03.2002, 10 V 1007/02 AE (E), EFG 2002, 688; zurückhaltender: OFD Münster v 11.12.2001, S 2303–2-St 13–31, EStG-Kartei NW §§ 48–48d EStG Nr 3000),
- aus dem Verhalten des Leistenden ergibt sich, dass dieser seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen will (FG Bln v 21.12.2001, 8 B 8408/01, EFG 2002, 330).
Rn. 42
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Teilweise wird einschränkend angenommen, dass es einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip bedeute, wenn auf Pflichtverletzungen bei der Abgabe von Steueranmeldungen oder -erklärungen und auf Steuerrückstände abgestellt wird. Das Verlangen nach einer Freistellungsbescheinigung dürfe nicht als Druckmittel benutzt werden, Steuerrückstände einzutreiben. Da die Versagung der Freistellungsbescheinigung dem Entzug einer Gewerbeerlaubnis gleichstehe, bedürfe es nach dieser Auffassung der Feststellung, dass der StPfl nicht gewillt sei, den Steuergesetzen Folge zu leisten (FG Bln v 21.12.2001, 8 B 8408/01, EFG 2002, 330; Nöcker, StuB 2003, 494; Fuhrmann, KÖSDI 2003, 13 771) oder dass das Fehlverhalten in einer illegalen Betätigung im Baugewerbe (illegale Beschäftigung von ArbN oder Einschaltung von Scheinfirmen oder Domizilgesellschaften) liege (FG Nds v 18.04.2002, 6 V 55/02, EFG 2002, 842).
Diese Begrenzung wird von der zutreffenden hM abgelehnt, weil nach dem Gesetzeswortlaut die nach den objektiven Umständen bestehende Gefährdung des zu sichernden Steueranspruchs ausreicht (idS: FG He v 22.03.2002, 2 V 548/02, DStRE 2003, 656; FG D'dorf v 04.03.2002, 10 V 1007/02 AE (E), EFG 2002, 688; FG D'dorf v 03.07.2002, 18 V 1183/02 AE (KV), EFG 2003, 99; FG Münster v 02.08.2002, 2 V 1006/02 E; FG D'dorf v 22.08.2002, 14 K 1418/02 E, EFG 2002, 1604; FG Ha v 06.03.2003, II 47/03, DStRE 2003, 928; FG Ha v 30.03.2010, 6 K 243/09, EFG 2010, 1517).
Rn. 43
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Nach der hM besteht umso eher der Anschein einer Gefährdung der zu sichernden Steueransprüche, je größer die Steuerrückstände sind und je länger sie bestehen (FG D'dorf v 04.03.2002, 10 V 1007/02 AE (E), EFG 2002, 688; FG D'dorf v 03.07.2002, 18 V 1183/02 AE (KV), EFG 2003, 99; FG D'dorf v 22.08.2002, 14 K 1418/02 E, EFG 2002, 1604; FG Ha v 06.03.2003, II 47/03, DStRE 2003, 928). Die Gefährdung des zu sichernden Steueranspruchs ist nicht von einem willentlichen Fehlverhalten des StPfl abhängig. Zahlungsunfähigkeit reicht aus (FG Münster v 02.08.2002, 2 V 1006/02 E; wohl auch FG Ha v 06.03.2003, II 47/03, DStRE 2003, 928; aA Fuhrmann, KÖSDI 2001, 13 093; Fuhrmann, KÖSDI 2003, 13 771: nur schuldhaft verursachte Pflichtverstöße).
Ratenzahlungsangebote können die Gefährdung des zu sichernden Steueranspruchs jedenfalls dann nicht beseitigen, wenn tatsächlich keine Tilgungen vorgenommen werden (FG Münster v 02.08.2002, 2 V 1006/02 E).
Ist gegen den Leistenden ein Steuerstrafverfahren oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden, wird dies häufig Rückschlüsse auf eine Gefährdung der zu sichernden Steueransprüche zulassen (aA Apitz in H/H/R, § 48b EStG Rz 7 (Juni 2019); eingrenzend: FG Sa v 22.02.2005, 2 V 429/04: Ermittlungen gegen den früheren Gesellschafter und Prokuristen sind nicht ausreichend).
Rn. 44
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Die Freistellungsbescheinigung darf nicht schon dann versagt werden, wenn ein Leistender seine Steuererklärungspflichten regelmäßig ordnungsgemäß erfüllt und lediglich vorübergehende Steuerrückstände entstanden sind (FG D'dorf v 03.07.2002, 18 V 1183/02 AE (KV), EFG 2...