A. Allgemeines
Rn. 14
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Das Gesetz eröffnet dem Leistenden zwei voneinander unabhängige Ansprüche auf die Erteilung der Freistellungsbescheinigung (§ 48b Abs 1 und 2 EStG). Die Grundannahme in § 48b Abs 1 S 1 EStG ist, dass zu sichernde Steueransprüche des Staates gegenüber dem Leistenden bestehen, deren potentielle Gefährdung zu überprüfen ist. Im Gegensatz hierzu regelt § 48b Abs 2 EStG einen Anspruch auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung, wenn glaubhaft gemacht worden ist, dass keine zu sichernden Steueransprüche bestehen. Die beiden Vorschriften ermöglichen daher für jeden Lebenssachverhalt, den ein Leistender verwirklichen kann, die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung. Sie ergänzen sich zu einem umfassenden Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung, wenn nicht zu erwarten ist, dass Steueransprüche des Staates gefährdet sind.
Rn. 15
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Dagegen besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung, dass es sich bei den geplanten Leistungen um keine Bauleistungen iSv § 48 Abs 1 S 3 EStG handelt. Das Gesetz sieht ein solches Verfahren nicht vor. Außerdem sind die tatsächlichen und vertraglichen Gestaltungen so vielschichtig, dass eine generalisierende und für die Zukunft verbindliche Aussage hierzu nicht getroffen werden kann (OFD Münster v 11.12.2001, S 2303–2-St 13–31, EStG-Kartei NW §§ 48–48d EStG Nr 3000).
B. Anspruch auf Erteilung gemäß § 48b Abs 1 EStG
Rn. 16
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Nach § 48b Abs 1 S 1 EStG hat das für den Leistenden zuständige FA auf Antrag eine Freistellungsbescheinigung nach amtlichem Vordruck zu erteilen, die den Leistungsempfänger von der Pflicht zum Steuerabzug befreit, wenn der zu sichernde Steueranspruch nicht gefährdet erscheint und ein inländischer Empfangsbevollmächtigter bestellt ist. Die drei Voraussetzungen für den Erlass der Freistellungsbescheinigung sind:
- die Antragstellung,
- der fehlende Anschein einer Gefährdung des zu sichernden Steueranspruchs und
- die Bestellung eines inländischen Empfangsbevollmächtigten.
Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist das FA verpflichtet, die Freistellungsbescheinigung auszustellen. Dem FA steht kein Ermessen zu. Dies gilt auch hinsichtlich des Umfangs der Freistellungsbescheinigung. Ob die Bescheinigung für einen ausreichend langen Zeitraum ausgestellt ist, ob der Zeitraum zu verlängern ist oder ob die Bescheinigung auftragsbezogen zu erteilen ist, ergibt sich aus den Gesamtumständen des Einzelfalls. Die diesbezügliche Abwägungsentscheidung unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle (aA Apitz in H/H/R, § 48b EStG Rz 5 (Juni 2019); Ebling in Brandis/Heuermann, § 48b EStG Rz 17 und 71 (Mai 2021): Beurteilungsspielraum).
1. Antragstellung
Rn. 17
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b Abs 1 S 1 EStG ist durch den Leistenden zu stellen (zum Begriff des Leistenden s § 48 Rn 84ff (Wienbergen)). Der Leistungsempfänger ist nicht antragsberechtigt (zum Begriff des Leistungsempfängers s § 48 Rn 66ff (Wienbergen)). Ist eine PersGes oder KapGes Leistender, ist sie selbst antragsberechtigt. Dies gilt sogar für Arbeitsgemeinschaften, für die gemäß § 180 Abs 4 AO keine gesonderten Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen erfolgen (Tz 28 BMF BStBl I 2022, 1229). Ist über das Vermögen des Leistenden das Insolvenzverfahren eröffnet worden, steht das Antragsrecht dem Insolvenzverwalter zu (BFH I B 147/02, BStBl II 2003, 716; OFD Münster v 25.02.2002, S 2303–2-St 13–31, BB 2002, 1469 Abschnitt II).
Rn. 18
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Antrag ist an das für den Leistenden zuständige FA zu stellen. Für Leistende, die im Inland ansässig sind, gelten die allgemeinen Grundsätze des Zuständigkeitsrechts.
- Bei einer natürlichen Person ist das sog Wohnsitz-FA (§ 19 Abs 1 AO) zuständig.
- Bei einer KapGes ist das FA der Geschäftsleitung (§ 20 Abs 1 AO) zuständig.
- Bei einer PersGes ist das sog Betriebs-FA (§ 18 Abs 1 Nr 2 AO) zuständig. Ist die PersGes ertragsteuerlich nicht zu führen (zB Arbeitsgemeinschaften), ist auf die umsatzsteuerliche Zuständigkeit abzustellen (Tz 28 BMF BStBl I 2022, 1229).
Für Leistende, die im Ausland ihren Wohnsitz, Sitz oder ihre Geschäftsleitung haben, gilt § 20a AO. § 20a AO verweist auf das FA, das für die Besteuerung der Umsätze nach § 21 Abs 1 AO zuständig ist. Die UmsatzsteuerzuständigkeitsVO – UStZustV – (StÄndG 2001 v 20.12.2002, BGBl I 2001, 3794, 3814, zuletzt geändert durch Art 24 des JStG 2020 v 21.12.2020, BGBl I 2020, 3096) bestimmt nach Maßgabe der Herkunftsländer einzelne FA, die für die USt zuständig sind (§ 1 UStZustV). So wird gewährleistet, dass für Leistende, die im Ausland ansässig sind, nur ein FA zuständig ist. Wegen weiterer Einzelheiten und der Liste der zuständigen FÄ, s § 48a Rn 27ff (Wienbergen).
Rn. 19
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Antrag kann formlos (schriftlich, mündlich, fernmündlich oder elektronisch) gestellt werden. Ein schriftlicher Antrag kann – da in § 48b Abs 1 S 1 AO keine eigenhändige Unterschrift gefordert wird – von einer zur Vertre...