Rn. 80
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Tatbestand des § 48c Abs 3 EStG ist zweigliedrig. Zum einen ist Voraussetzung, dass der Leistungsempfänger den angemeldeten Abzugsbetrag nicht abführt. Der Tatbestand greift auch ein, wenn der Steuerabzugsbetrag nur teilweise nicht abgeführt wird ("soweit"). Leistet der Leistungsempfänger den Betrag, nachdem er durch Haftungsbescheid gemäß § 48a Abs 3 S 1 EStG oder durch Steuerfestsetzung gemäß § 167 Abs 1 S 1 AO in Anspruch genommen worden ist, gilt der Abzugsbetrag als abgeführt, sodass § 48c Abs 3 EStG keine Anwendung findet.
Rn. 81
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Die fehlende Abführung des Steuerabzugsbetrags reicht aber nicht aus, um die Anrechnung zu verweigern. Angesichts der Grundentscheidung in § 48c Abs 1 EStG, dass es auf die Abführung des Abzugsbetrags im Anrechnungsverfahren nicht ankommt, muss hinzukommen, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass ein Missbrauch vorliegt. Ein Missbrauch ist jedenfalls bei kollusivem Zusammenwirken von Leistenden und Leistungsempfänger gegeben. Ziel eines solchen Zusammenwirkens ist regelmäßig, dass der Leistende in den Genuss der Anrechnung kommt, obwohl der Steuerabzugsbetrag nicht an das FA abgeführt worden ist.
Dagegen wird der autonome Entschluss des Leistungsempfängers, den angemeldeten Steuerabzugsbetrag nicht abführen zu wollen, zumeist keine rechtlichen Auswirkungen auf den Leistenden haben. Dies ergibt sich aus der Risikoverteilung zwischen dem FA und dem Leistenden. Anderes kann nur dann gelten, wenn der Leistungsempfänger die Abführung nicht aus finanziellen Gründen, sondern in Schädigungsabsicht zu Lasten des FA unterlässt. In diesen Fällen kann es dem FA nicht zugemutet werden, das Abführungsrisiko zu tragen.
Rn. 82
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Weil ein so verstandener Missbrauch nur selten feststellbar ist, reicht es nach dem Gesetzeswortlaut aus, wenn Anlass zu der Annahme besteht, dass ein Missbrauch vorliegt. Dabei reicht die Annahme eines Missbrauchs aufgrund statistischer Wahrscheinlichkeit oder allgemeiner Erkenntnisse über das Verhalten von Unternehmern in der Baubranche nicht aus. "Anlass" zu der Missbrauchsannahme bedeutet, dass hinreichende tatsächliche Feststellungen vorliegen müssen, die auf ein missbräuchliches Zusammenwirken von Leistenden und Leistungsempfänger oder auf eine Schädigungsabsicht des Leistungsempfängers hindeuten. Dabei brauchen sich die Feststellungen nicht derartig verdichtet zu haben, dass sie die tatsächliche Grundlage für die Überzeugung bilden können, dass ein Missbrauch tatsächlich vorliegt. Ein auf tatsächliche Feststellungen beruhender "Anfangsverdacht" reicht aus.
Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für einen hinreichenden Anlass zu der Annahme eines Missbrauchs trägt das FA.
Rn. 83–84
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
vorläufig frei