Rn. 15
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Die Sicherungsfunktion des Verfahrens gemäß §§ 48ff EStG zeigt sich daran, dass der Steuerabzugsbetrag nicht nur auf die von dem Leistenden geschuldete ESt oder KSt, sondern auch auf Steuern, die der Leistende als Entrichtungsschuldner zu leisten hat (LSt, Bauabzugsteuer) angerechnet wird (§ 48c Abs 1 S 1 EStG). Damit werden – mit Ausnahme der USt, für die ein eigener Sicherungsmechanismus vorgesehen ist (§ 13b Abs 2 Nr 4 UStG iVm § 13b Abs 5 UStG) – diejenigen Steuern in den Anrechnungsvorgang einbezogen, die typischerweise bei einer Bauleistung im Inland entstehen können. Von der Absicherung nicht erfasst ist der SolZ.
Durch den Steuerabzug wird dem Leistenden ein Teil der Gegenleistung vorübergehend entzogen, damit der Betrag als Verrechnungspotenzial für die aus dem Bauvorgang entstehenden Steuern verwendet werden kann. Da die Anrechnung erst mit Durchführung der Veranlagung zur ESt oder KSt für den VZ, in dem die Bauleistung erbracht worden ist, abgeschlossen wird, kann sich die Erstattung der nicht als Verrechnungspotenzial benötigten Beträge um mehrere Jahre verzögern. Dies stellt ein erhebliches Liquiditätsproblem für den Leistenden dar (Eggers, StuB 2001, 1149; vgl auch Diebold, DStZ 2002, 471 mit einem ganz anderen Ansatz).
A. Die Voraussetzungen für die Anrechnung
Rn. 16
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Die Anrechnung erfolgt von Amts wegen. Es bedarf keines Antrags des Leistenden. Der Leistende hat kein Wahlrecht, ob eine Anrechnung vorgenommen wird oder eine Erstattung erfolgen soll. Nur unter den Voraussetzungen des § 48c Abs 2 EStG kommt eine Erstattung des Steuerabzugsbetrags ohne vorherige Anrechnung in Betracht.
Rn. 17
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Voraussetzung für die Anrechnung ist, dass der von dem Leistungsempfänger einbehaltene und angemeldete Betrag ein Abzugsbetrag iSd § 48 Abs 1 S 1 EStG ist. Das ist nur gegeben, wenn die zugrunde liegenden Leistungen Bauleistungen iSv § 48 Abs 1 S 3 EStG sind, die Bagatellgrenzen gemäß § 48 Abs 1 S 2 EStG und § 48 Abs 2 S 1 Nr 1 und Nr 2 EStG überschritten sind und keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b Abs 1 S 1 EStG vorgelegen hat.
Hat der Leistungsempfänger einen Teil der Gegenleistung einbehalten, obwohl die Voraussetzungen für den Steuereinbehalt nicht erfüllt waren, handelt es sich bei dem einbehaltenen und angemeldeten Betrag nicht um einen "Abzugsbetrag" iSd § 48c Abs 1 S 1 EStG mit der Folge, dass keine Anrechnung auf vom Leistenden zu entrichtende Steuern erfolgen darf.
Die unzutreffende Anmeldung des Steuerabzugsbetrags ist gemäß §§ 164 Abs 2, 167 Abs 1 S 1, 168 S 1 AO zu berichtigen. Das geht nur mit Zustimmung des FA (§ 168 S 2 AO). Anschließend greift § 37 Abs 2 AO ein. Da das FA den Betrag ohne Rechtsgrund erhalten hat, besteht ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers, der den zurückerhaltenden Betrag anschließend aufgrund seiner zivilrechtlichen Verpflichtung an den Leistenden auszukehren hat. Die gegenteilige Meinung, die auch in Fällen des versehentlichen Einbehalts durch den Leistungsempfänger eine Anrechnung auf die vom Leistenden zu entrichtenden Steuern vornehmen will, ist abzulehnen (so aber Ebling in Brandis/Heuermann, § 48c EStG Rz 13 (Mai 2021)). Nur wenn der Einbehalt und die Anmeldung gemäß der Steuerabzugsverpflichtung in § 48 Abs 1 S 1 EStG erfolgt ist, verknüpft der Tatbestand des § 48c Abs 1 S 1 EStG den Steuereinbehalt mit dem Steuerschuldverhältnis des Leistenden. In Fällen des irrtümlichen Einbehalts besteht weder die beschriebene Verknüpfung, noch führt der Leistungsempfänger den Abzugsbetrag "für Rechnung des Leistenden" an das FA ab, so dass der Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs 2 AO dem Leistungsempfänger und nicht dem Leistenden zusteht (ebenso: Tz 93 BMF BStBl I 2022, 1229; Apitz in H/H/R, § 48c EStG Rz 9 (November 2018); Ebling in Brandis/Heuermann, § 48c EStG Rz 63 (Mai 2021); aA Kaeser in K/S/M, § 48c EStG Rz C 23 (Februar 2004); Naujok in Lademann, § 48c EStG Rz 42 (November 2017)).
Rn. 18
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Weitere Voraussetzung ist, dass der Abzugsbetrag von dem Leistungsempfänger einbehalten und angemeldet worden ist. Ob die Anmeldung fristgerecht erfolgt ist, ist unerheblich. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Abzugsbetrag an das FA abgeführt worden ist (Tz 86 BMF BStBl I 2022, 1229). Das Risiko der fehlenden Abführung und der Zahlungsunfähigkeit des Leistungsempfängers trägt das FA, nicht der Leistende (Schmitt/Seitz, Stbg 2001, 669; Eggers, StuB 2003, 342). Das FA muss sich bei einer unterlassenen Abführung an den Leistungsempfänger halten. Es ist grds nicht befugt, die Anrechnung auf die von dem Leistenden zu entrichtenden Steuern zu verweigern.
Anders verhält es sich nur, wenn der angemeldete Abzugsbetrag nicht abgeführt worden ist und Anlass für die Annahme besteht, dass ein Missbrauch vorliegt. In diesem Fall greift § 48c Abs 3 EStG ein, der die Ablehnung der Anrechnung erlaubt.
Rn. 19
Stand: EL 160 – ET: 10/2022
Der Leistende ist nicht zu dem Nachweis verpflichtet, dass der Abzugsbetrag von...