Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
A. Struktur der Vorschrift
Rn. 1
Stand: EL 155 – ET: 12/2021
§ 4g EStG ist eine Gewinnermittlungsvorschrift, die zur Abmilderung der Besteuerungsfolgen der Zwangsentstrickung nach § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG bei Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich stiller Reserven an WG (s §§ 4, 5 Rn 244ff (Briesemeister)) sowie der Veräußerungsfiktion nach § 12 Abs 1 S 1 Hs 1 KStG führt. Die Vorschrift bedient sich dabei nicht der Regelungstechnik der Stundung, sondern gewährt im Wege eines Antragswahlrechts auf erfolgswirksame Bildung eines passiven Ausgleichpostens und dessen Auflösung über regulär fünf Jahre eine zeitliche Streckung der Besteuerung fiktiver Entstrickungsgewinne.
Abs 1 konkretisiert die Regelungstechnik zur Vermeidbarkeit einer Sofortbesteuerung von Entstrickungsgewinnen und bestimmt die Voraussetzungen für die Bildung (s Rn 30ff) sowie die Höhe des Ausgleichspostens (s Rn 50f) als Instrument zur (temporären) Neutralisierung bei fiktiver Entnahme nach § 4 Abs 1 S 3, 4 EStG entstehender Entstrickungsgewinne.
Abs 2 normiert in S 1 die ratierliche Regelauflösung des Ausgleichspostens über fünf Jahre (s Rn 60ff) und in S 2 unter Verweis auf den Katalog des § 36 Abs 5 S 4 EStG die Bedingungen für die gewinnerhöhende Sofortauflösung (s Rn 70ff) sowie die Möglichkeit der FinVerw, bei Gefährdung des künftigen Steueranspruchs aus der ratierlichen Auflösung des Ausgleichspostens die Stellung von Sicherheiten zu verlangen (s Rn 97).
Abs 3 wurde mit ATADUmsG v 25.06.2021 (BGBl 2021, 2035) aufgehoben (s Rn 100).
Abs 4 bestimmt in S 1 die entsprechende Anwendbarkeit des § 4g EStG bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG und statuiert für diese in S 2–4 besondere Aufzeichnungspflichten (s Rn 106).
Abs 5 normiert in S 1 eine Mitteilungspflicht für fiktive Entnahmen iS § 4 Abs 1 S 3 EStG bzw einer fiktiven Veräußerung iS § 12 Abs 1 S 1 Hs 1 KStG, die eine Ausgleichspostenbildung nach sich ziehen, ebenso wie für die zur sofortigen Auflösung des Ausgleichspostens führenden Ereignisse iSd Abs 2 (s Rn 120) und ordnet bei Pflichtverletzungen in S 2 die Sofortauflösung des Ausgleichspostens an (s Rn 124).
Abs 6 beinhaltet bzgl des Austritts des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit) eine spezielle (Nicht-)Anwendungsregelung zur sofortigen Zwangsauflösung des Ausgleichspostens führender Tatbestände des § 4g Abs 2 S 2 EStG iVm § 36 Abs 5 S 4 EStG (s Rn 130ff).
Rn. 2
Stand: EL 155 – ET: 12/2021
vorläufig frei
B. Rechtsentwicklung
Rn. 3
Stand: EL 155 – ET: 12/2021
§ 4g EStG wurde im Zuge des SEStEG v 07.12.2006 (BGBl I 2006, 2782) ergänzend zur Entstrickungsnorm (§ 4 Abs 1 S 3 EStG) zur Sicherung des deutschen Besteuerungsanspruchs auf die stillen Reserven (ua) bei Überführung von WG in ausländische Betriebsstätten (s §§ 4, 5 Rn 244ff (Briesemeister)) unter gleichzeitiger Abmilderung der Sofortbesteuerung in das EStG eingefügt. Mit JStG 2008 (BGBl 2007, 3150) wurde auch in die Entstrickungsregelung § 12 Abs 1 S 1 KStG ein Verweis auf § 4g EStG aufgenommen und die Ergänzungsfunktion des § 4g EStG auch insoweit gesetzlich fixiert.
Mit Brexit-StBG v 25.03.2019 (BGBl I 2019, 357) wurde mit Anfügung eines Abs 6 die Auflösung von Ausgleichsposten bei Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland verhindert, da anderenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes der Sonderauflösungstatbestand nach § 4g Abs 2 S 2 Nr 2 EStG aF ausgelöst worden wäre (s Rn 130ff).
Durch das ATADUmsG v 25.06.2021 (BGBl I 2021, 2035) wurde der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des § 4g EStG durch Erweiterung der tatbestandlichen Voraussetzungen erheblich ausgedehnt (§ 4g Abs 1 EStG; s Rn 11 f, 16f). Die bis dahin geltenden einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen (insb die Begrenzung auf EU-Staaten, auf unbeschränkt StPfl sowie auf WG des AV) fanden keine Entsprechung in der "Anti-Tax Avoidance Directive" (ATAD), EU-Richtlinie 2016/1164 des Rates v 12.07.2016 (ABl Nr L 193, 9) und standen bzgl ihrer EU-Rechtskonformität zu Recht in der Kritik (stellvertretend Kahle/Eichholz, FR 2015, 17 mwN). Parallel wurden die zur Sofortauflösung des Ausgleichspostens führenden Tatbestände durch Verweis auf § 36 Abs 5 S 6 EStG und dessen Anpassung an Art 5 Abs 4 ATAD modifiziert (s Rn 70ff).
Rn. 4–5
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vorläufig frei
C. Regelungszweck
Rn. 6
Stand: EL 155 – ET: 12/2021
Zweck der Regelung ist es, eine zeitlich gestreckte Besteuerung der durch Entstrickung ohne Realisationsvorgang aufgedeckten stillen Reserven zu ermöglichen (BT-Drucks 16/3369, 5) und damit die Vereinbarkeit der Entstrickungsregelung § 4 Abs 1 S 3 EStG mit EU-Recht sicherzustellen (BT-Drucks 16/2710, 57). Überführungen von WG ohne Auslandsberührung sind nach Maßgabe des § 6 Abs 5 EStG steuerneutral möglich, während Überführungen ins Ausland nach § 4 Abs 1 S 2 EStG (Ausschluss oder Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder Nutzung des WG, im Einzelnen s §§ 4, 5 Rn 244ff (