Dr. Barbara Zuber, Stefan Ditsch
Rn. 57
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Bei der Reform des § 50d Abs 3 EStG idF AbzEntModG sieht sich der Gesetzgeber mit der Anlehnung an die EuGH-Rspr (sog Danish Cases EuGH vom 26.02.2019, C-116/16 und C-117/16, Rs T Danmark ua, IStR 2019, 266) und der Einführung einer Gegenbeweismöglichkeit in Einklang mit den EU-rechtlichen Grundfreiheiten als auch den Richtlinienvorgaben. Auch wenn die Regelung im Einzelfall zu unionsrechtsverträglichen Lösungen kommen kann, bestehen jedoch uE erhebliche Zweifel, ob eine unionsrechtskonforme Umsetzung im Grundsatz tatsächlich gelungen ist. Zwar wurden einerseits offensichtliche Kritikpunkte wie der bislang fehlende Motivtest in der geltenden Fassung beseitigt, andererseits aber durch wesentliche Verschärfungen an anderen Stellen wiederum neue Fragen hinsichtlich der Unionsrechtsmäßigkeit der Regelung aufgeworfen (s zu den vielfältigen Kritikpunkten zB Florstedt, BB 2021, 1823; Jochimsen/Gsödl, IStR 2021, 387; Beutel/Oppel, DStR 2021, 1017; Schnitger/Gebhardt, IStR 2021, 289; Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 189; Stangl/Greinert/Siebing, Ubg 2021, 447). In seinen Urteilen vom 26.02.2019 T Danmark ua (IStR 2019, 266, Rz 83, 97f mwN) hat der EuGH dem Verbot des Rechtsmissbrauchs den Rang eines allg Grundsatzes des primären Unionsrechts zugewiesen und für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs verlangt, dass objektiv nach der Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls eine künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegen muss, mit der subjektiv die Absicht verfolgt wird, die Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats zu umgehen. Ob die Tatbestandsmerkmale eines Missbrauchs vorliegen, ist im Wege einer Analyse des gesamten Sachverhalts zu ermitteln.
Bereits 2017 und 2018 hat der EuGH in den Rs Deister und Juhler Holding (DStR 2018, 119) bzw GS (IStR 2018, 543) basierend auf diesem Missbrauchskonzept die Altfassungen des § 50d EStG 2007 und 2012 als nicht mit dem unionsrechtlichen Missbrauchsverbot in Einklang stehend abgelehnt, weil die darin enthaltenen Tatbestandsmerkmale zu pauschalisiert seien und bei der Prüfung der Missbrauchsvermutung nicht die Gesamtheit aller Umstände des Einzelfalls einbezogen würden. Dieser Vorwurf besteht unverändert gegenüber der Neufassung des § 50d Abs 3 EStG; auch hier wird im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen eine pauschale Missbrauchsvermutung ohne individuelle Prüfung der Gesamtumstände aufgestellt, die nicht im Einklang mit den Kriterien des EuGH steht (zB Schnitger/Gebhardt, IStR 2021, 289 (292); Kessler/Spengel, DB 2021 Beilage 1, 22; Florstedt, BB 2021, 1823 (1825)).
Darüber hinaus wurde die Missbrauchsvermutung noch dahingehend verschärft, dass eine persönliche Entlastungsberechtigung unter der geltenden Fassung einen rechtsgrundlagenidentischen Entlastungsanspruch fordert. Ein entsprechender Entlastungsanspruch nach einer anderen Rechtsgrundlage, wie er in der Praxis aufgrund des dichten DBA-Netzes Deutschlands häufig vorkommt, kann nach der Gesetzesbegründung nur im Rahmen des Gegenbeweises zur Widerlegung der Missbrauchsvermutung geltend gemacht werden. Dies hat zur Folge, dass nach der Neufassung des § 50d EStG ungleich mehr Sachverhalte unter die Missbrauchsvermutung fallen und nur noch mit Hilfe der Gegenbeweismöglichkeit in den Genuss von Quellensteuerentlastungsansprüchen kommen werden. Ob dies mit Unionsrecht vereinbar ist, kann man zu Recht kritisch sehen (im Ergebnis ebenso zB Loschelder in Schmidt, § 50d EStG Rz 22 (42. Aufl 2023); Schönfeld/Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50d EStG Rz 210 (03/2022); Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz 52 (12/2022)).
Zudem stellt auch die gesetzliche Umsetzung des Motivtests hohe Anforderungen (s im Einzelnen Schönfeld/Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 50d EStG Rz 556 (03/2022)). Für die Widerlegung der Missbrauchsvermutung verlangt § 50d Abs 3 EStG nicht nur den Nachweis vernünftiger außersteuerlicher Gründe für die Einschaltung des ausländischen Rechtsträgers, sondern darüber hinaus, dass keiner der Hauptzwecke der Zwischenschaltung die Erlangung eines Steuervorteils ist; dabei soll sich der Begriff des Steuervorteils nicht nur auf die Quellensteuer, die Gegenstand des Entlastungsanspruchs ist, sondern auch auf weitere ausländische Steuervorteile beziehen.
Das BZSt verlangt entsprechend in seinem Standardfragebogen für Quellensteuerentlastungsanträge eine umfassende Darlegung aller Steuervorteile, auch solcher nach ausländischem Steuerrecht, die mit der Zwischenschaltung der ausländischen Körperschaft verbunden sind. Für den StPfl bedeutet dies einen erheblichen Nachweisaufwand und zusätzliche Unsicherheiten über den Ausgang des Verfahrens.
Der BFH hat demgegenüber bereits unter expliziter Bezugnahme auf die Dänemark-Rspr des EuGH entschieden, dass aus unionsrechtlicher Sicht ein hypothetischer gleichwertiger Steuerentlastungsanspruch bei Direktbezug ausreichend für die Widerlegung der Missbrauchsvermutung ist und andere Steuervorteile hinzuneh...