Jürgen Dräger, Tobias Müller
ba) Rechtsgrundlagen
Rn. 66
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
In § 252 Abs 1 S 3 Nr 3 HGB ist bestimmt: "Die Vermögensgegenstände und Schulden sind zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten."
Dem folgt implizit das EStG in § 6 Abs 1 S 1 EStG: "Für die Bewertung der einzelnen WG…"
Das HGB transformiert dabei Art 31 Abs 1 S 1e der 4. EG-Richtlinie: "Die in den Aktiv- und Passivposten enthaltenen Vermögensgegenstände sind einzeln zu bewerten."
Der Einzelbewertungsgrundsatz entspricht als GoB-Bestandteil der deutschen Bilanzrechtstradition; in den US-GAAP ist er demgegenüber nicht explizit verankert. Nach IAS 1.29 gilt er für materielle WG, nicht aber für immaterielle WG (zB die Bewertungsverfahren für Finanzinstrumente nach IAS 39).
bb) Definition Wirtschaftsgut
Rn. 67
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Zur Verwirklichung des Einzelbewertungsgrundsatzes bedarf es zweierlei (s Rn 40):
- einer Einzelerfassung des konkreten WG (Mengengerüst),
- konkrete Wertzuordnung zu dieser Mengenkomponente.
Rn. 68
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Das Bewertungssubstrat wird weder im HGB noch im EStG definiert. Es bedarf der sinnvollen Gesetzesauslegung. Diese hat zur negativen Definition des BFH v 05.12.1974, BStBl II 1975, 344 Rz 11 geführt: Ein einzeln bewertbares WG ist dann nicht vorhanden,
Zitat
"wenn es mit einem anderen WG derart verbunden ist, dass es nur in der Gesamtheit mit dem anderen WG, als dessen Teil es sich darstellt, bewertungsfähig ist".
Nach dieser Negativabgrenzung kann etwa der Motor eines Kraftfahrzeuges oder das Rad mit Reifen nicht als selbstständig angesehen werden. In vielen praktischen Fällen erfolgt eine Abgrenzung der Bewertungseinheit schlichtweg durch Konvention. Typisches Bsp hierfür ist ein Arbeitsplatz-Computer; ein Notebook ist sicherlich eine selbstständige Bewertungseinheit, bei einem PC ist das Abgrenzungsproblem nur konventionell zu lösen. Zur einschlägigen Problematik im Zusammenhang mit Internetauftritten und Websites s Leidig/Herzog, StuB 2001, 800.
Rn. 69
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Frage der Einheit oder Vielheit eines Bewertungsobjektes stellt sich insb bei Gebäuden. Hier wird traditionell nach Maßgabe des BFH BStBl II 1974, 132 vom betrieblichen" Nutzungs- und Funktionszusammenhang" gesprochen, um eine Abgrenzung der Bewertungseinheiten vorzunehmen. Einzelheiten hierzu s §§ 4,5 Rn 159ff (Briesemeister). Unstreitig gesonderte WG iSd Bilanzrechtes stellen Grund und Boden und Gebäude dar, auch wenn diese bürgerlich-rechtlich eine Einheit bilden. Von den Gebäuden sind die Betriebsvorrichtungen als gesonderte Bewertungseinheiten zu trennen (R 7.1 Abs 3 EStR 2012). Nach der dort gegebenen Definition handelt es sich um selbstständige WG, die nicht in einem Funktions- und Nutzungszusammenhang mit den Gebäuden stehen, sondern mit dem Betrieb des Gebäudeeigentümers (zur Abgrenzung s Rn 528).
bc) Keine Gesamtbewertung
Rn. 70
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Der Grundsatz der Einzelbewertung ist insoweit eine tragende Säule der Bilanzierung nach Handels- und Steuerrecht, weil diese das dem Unternehmen insgesamt zur Verfügung stehende Vermögen nicht wie nach der Technik der Unternehmensbewertung als Wertgesamtheit ermittelt. Durch diesen völlig konträren methodischen Ansatz kann es auch nicht gelingen, mit Hilfe der Bilanz den Unternehmenswert zu ermitteln. Diese Feststellung bedeutet einen entscheidenden Vorbehalt gegenüber der Möglichkeit, mit Hilfe einer Bilanz den "wahren" Vermögenswert nach Maßgabe des True-and-fair-view-Gedankens zu ermitteln.
Das "wirkliche" Vermögen eines Unternehmens – sofern es überhaupt ermittelbar ist – kommt in einer Bilanz nicht zum Ausdruck. Die in den internationalen Rechnungslegungsstandards immer mehr um sich greifende Tendenz zur Fair-value-Bewertung kann im Extremfall unter Einbeziehung auch des originären Firmenwertes einen solchen Unternehmenswert ermitteln. Nur entspricht das nicht mehr einer Bilanzierung im herkömmlichen Sinne. Es handelt sich vielmehr um eine Gewinnermittlung durch Unternehmensbewertung zu zwei Stichtagen.
bd) Das Saldierungsverbot
Rn. 71
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Der Einzelbewertungsgrundsatz verbietet eine saldierende Betrachtungsweise derart, dass die Wertveränderung bei einem WG kompensiert werden kann mit einer gegenläufigen Veränderung bei einem anderen. Musterbeispiel ist die Wertminderung des Gebäudes, die nicht deshalb bilanzmäßig unberücksichtigt bleiben darf, weil der vorhandene Wert des Grund und Bodens diese Wertminderung mindestens kompensiert. Insoweit ist der Einzelbewertungsgrundsatz in Verbindung mit dem Realisations- und Imparitätsprinzip zu würdigen.
Die Bewertungsobergrenze der AK oder HK (s Rn 150ff) bewirkt zusammen mit dem Realisations- und Imparitätsprinzip, die jeweils auf das einzelne WG anzuwenden sind, eine "Tendenz nach unten", führt also zur bzw verhindert nicht die Bildung von stillen Reserven. Dieser Effekt ist als zwingende Folge des Einzelbewertungsgrundsatzes hinzunehmen, auch wenn er scheinbar oder wirklich gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und den Ausweis des "wahren Vermögens" verstößt.
Rn. 72
Stand: EL 175...