Jürgen Dräger, Tobias Müller
1. Grundlegende Probleme
a) Mengenmäßige Erfassung
Rn. 40
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Zur Erstellung einer Bilanz bedarf es nach den GoB zunächst der Erstellung eines Inventars (§ 240 HGB) in das die aufzunehmenden WG und Schulden etc zunächst der Menge nach aufzunehmen sind. Dort erscheinen also im ersten Arbeitsschritt zB Maschinen eines bestimmten Typs, Lastkraftwagen, Urlaubsansprüche ausgedrückt in Tagen und Einzelgarantiefälle.
Um diese Bilanzposten gleichnamig zu machen, bedarf es – wie sonst auch im Wirtschaftsverkehr – einer einheitlichen Wertgröße, einer Währung, mit Hilfe derer die dem Grunde nach zu bilanzierenden Posten bewertet werden. Man kann also einen sachlichen Teil des Bewertungsvorganges (Ermittlung des Mengengerüstes) vom eigentlichen Wertzuordnungsvorgang unterscheiden. Ist die mengenmäßige Erfassung unrichtig – die rückständigen Urlaubstage werden nicht vollständig erfasst –, dann kann eine noch so genaue Wertzuordnung für die "abzufeiernden" Arbeitsstunden bzw -tage nicht zu einem exakten Ergebnis führen. Diese in der Praxis besonders wichtige Wertermittlungskomponente – die Quantitäten – wird in der einschlägigen Fachliteratur als Bewertungsgröße kaum beachtet, weil sie nicht als Problem der Rechnungslegung gesehen, sondern der Qualitätskontrolle für diesen Bereich zugeordnet wird.
b) Vergangenheitsbezogene Werte
Rn. 41
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Schon bei der Erfassung des Mengengerüstes stellt sich die Frage nach der Genauigkeit der letztlich in den konkreten Bilanzansatz einfließenden Werte. Die Anzahl der Lastwagen eines Speditions- oder Fuhrunternehmens lässt sich in praxi noch einigermaßen genau ermitteln, bei den Schrauben einer Maschinenfabrik ist dies sicher nicht mehr der Fall. Wenn man die betreffende "Menge" im zweiten Bewertungsschritt mit der zugehörigen Währung "kombiniert", beginnen allerdings erst die eigentlichen Probleme und damit die der Bilanzierung allg und speziell der Bewertung immanenten Ungenauigkeiten und die damit zusammenhängenden Schätzungserfordernisse.
Das beginnt schon bei den sog "historischen" Werten, also bei den AK oder HK. Man glaubt, diese seien ja "archiviert", könnten also jederzeit aus Bestandslisten abgerufen werden. Die Wirklichkeit sieht hier schon etwas anders aus.
- Als Bsp sei die Frage der Bewertung von Kuppelprodukten angeführt, die zwingend nur unter irgendeiner Hypothese, also dem persönlichen Ermessen des Bilanzierenden, ermittelt werden können.
- Ein anderes Bsp für die Ungenauigkeit vergangenheitsbezogener Bilanzwerte ist die Ermittlung von AK bei einem einheitlichen Erwerb verschiedener WG zu einem festen Preis (s Rn 195ff). Musterfall ist der Erwerb eines ganzen Unternehmens oder eines Betriebsteiles. Inwieweit der Kaufpreis von zB 1 Mio EUR nun auf das Grundstück oder auf die Vorräte oder auf die Beteiligung entfällt, das ist auch nur einigermaßen exakt nicht definierbar.
c) Zukunftsorientierte Bewertung (Schätzung ieS)
Rn. 42
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Erst recht beginnen aber die Probleme bei den zukunftsorientierten Positionen, und das sind im Grunde genommen alle wesentlichen, die in der Bilanz erscheinen. Bsp:
- Abnutzbares Sach-AV (Maschinen, Autos) müssen entsprechend ihrer Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Ob damit der "wirkliche" Wert durch die Wahl des konkreten Abschreibungsbetrages, der die Teilnutzungsdauer repräsentiert, reflektiert wird, kann im Einzelfall niemand feststellen. Hinzu kommt als weiteres Unsicherheitsmoment die Festlegung der "voraussichtlichen Nutzungsdauer". Die Übernahme des Wertes aus der finanzamtlichen AfA-Tabelle sagt ja noch lange nicht, dass diese "amtliche Schätzung" die richtige ist. Auch eine Behörde kann nicht besser schätzen als der Kaufmann.
- Die Wertminderung des Vorratsvermögens durch Verschleiß, modischen Wandel oder technische Überholung lässt sich allenfalls dem Grunde nach feststellen; exakt ist die Wertfeststellung im eigentlichen Sinne nur dann, wenn tatsächlich ein funktionierender Markt vorhanden ist, wie näherungsweise etwa im Gebrauchtwagensegment oder erst recht bei den börsengängigen Wertpapieren oder für Rohstoffe, für die eine Warenbörse besteht.
- Ausleihungen und Kontokorrentkredite von Banken an zweifelhafte Schuldner sind allenfalls erst dann exakt bewertbar, wenn letztere sich im Insolvenzverfahren befinden.
- Verpflichtungen aus Einzelgewährleistungen, Produkthaftpflichtfällen, Schadensersatzverpflichtungen, Umweltschäden, Altersteilzeitverpflichtungen etc sind immer nur in ganz grobem Rahmen abschätzbar.
Rn. 43
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Solche ungenauen Wertermittlungen (Schätzungen) sind der kaufmännischen Rechnungslegung immanent. Dies wiederum hat einen zwingenden ökonomischen Hintergrund, denn die Werthaltigkeit eines Vermögensgegenstandes resultiert ausschließlich aus dem mutmaßlichen künftigen Einnahmeüberschuss nach IAS ("Cash generating unit"). Es besteht diesbezüglich für die steuerliche Gewinnermittlung keinerlei Unterschied gegenüber der kaufmännischen Rechnungslegung nach nationalen oder internationalen Regelungen, da in jedem Fall die Gewinnermittlung durch einen Vergleich zwischen zwei Ver...