Jürgen Dräger, Tobias Müller
Rn. 135
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Auch hinsichtlich der GoB-Konformität ist der Wortlaut des Handelsrechts mit dem des Steuerrechts gleichlautend (s § 256 S 1 HGB und § 6 Abs 1 Nr 2a EStG). Die GoB-Konformität muss deshalb in einen Auslegungskonnex mit anderen normierten und nicht normierten GoB gestellt werden. Das ist auch der Ansatz des einzigen einschlägigen BFH-Urt (s Rn 119). Der BFH hat die GoB-Konformität in diesem Fall (Autohändler) deswegen verneint, weil die im konkreten Fall vorliegenden hohen AK den einzelnen WG (Pkw) ohne Schwierigkeiten zugeordnet werden konnten.
Umgekehrt ist es dem BFH zufolge bei Sachverhalten anwendbar, auf die das Lifo-Bewertungswahlrecht "typischerweise zugeschnitten" sein soll, und nennt als Bsp den Fall der Vermischung von Flüssigvorräten oder die Massenartikel. Systematisch leitet der BFH die GoB-Widrigkeit aus der Verletzung des Einzelbewertungsgrundsatzes ab, der dem Lifo-Verfahren immanent sein soll. Der BFH übersieht dabei aber, dass auch das Bewertungsverfahren mit gewogenen Durchschnitten einer solchen Vereinfachung zugrunde liegt. Denn auch bei dem gewogenen Durchschnittverfahren werden dem einzelnen WG die jeweils individuellen AK oder HK nicht zugeordnet.
Rn. 136
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Die Kritik am BFH-Urt (Moxter, DB 2001, 157; Mayer-Wegelin, DB 2001, 554) entzündet sich nicht so sehr an den v BFH in den Vordergrund gerückten Verstoß des Lifo-Verfahrens gegen den Einzelbewertungsgrundsatz, sondern vielmehr an der v BFH explizit negierten Intention des Gesetzgebers zur Vermeidung der Scheingewinnbesteuerung durch das Lifo-Verfahren.
Rn. 137
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
In der Literatur werden noch andere Fälle eines GoB-"Konfliktes" diskutiert. Typisches Bsp ist die schlichtweg undenkbare Übereinstimmung der v Gesetzgeber vorgegebenen Fiktion mit der Realität der Verbrauchsfolge. Zumindest theoretisch sollte die Möglichkeit bestehen, dass im Inventurbestand am Jahresende noch Bestände aus dem Vorjahr vorhanden sind. Bei völliger Unvereinbarkeit der fiktiven mit der tatsächlichen Verbrauchsfolge lehnt die FinVerw in R 6.9 Abs 2 S 2 EStR 2012 die Anwendung des Lifo-Verfahrens jedenfalls ab. Entsprechend wendet die FinVerw das Lifo-Verfahren bei leicht verderbbaren Waren nicht an.
Beachtlich ist auch die Auffassung, dass bei rechnergesteuerten modernen Hochregallagern mit systemimmanentem Fifo-Verfahren (First-in-first-out) das Lifo-Verfahren mit dem gegenteiligen gedanklichen Ansatz nicht zulässig sein soll (so Müller-Gatermann in Herzig (Hrsg), Vorratsbewertung nach der Lifo-Methode 1990, 41; dagegen Bäuerle, BB 1990, 1732).
Im Tabakwareneinzelhandel ist der Warenumschlag sehr schnell. Am Jahresende ist deshalb der Bestand vom Anfang nicht mehr vorhanden. Gleichwohl ist Lifo anwendbar (LfSt Bayern, VfG v 23.10.2009, DStR 2009, 2318).
Ist bei Handelswaren durch die im Betrieb eingesetzten EDV-Systeme die Ermittlung der jeweiligen individuellen AK technisch ohne weiteren Aufwand möglich, kann nach Auffassung der FinVerw die Lifo-Methode nicht angewandt werden (BMF v 12.05.2015, BStBl I 2015, 462). Da diese Systeme in der Praxis immer häufiger verwendet werden, nimmt die Bedeutung des Lifo-Verfahrens bei den Handelsbetrieben ebenfalls ab.
Rn. 137a
Stand: EL 175 – ET: 09/2024
Im Zuge der Neugestaltung des Verhältnisses zwischen HB und StB durch das BilMoG v 25.05.2009 (s vor § 1 Rn 193 (Bitz)) hat sich im Schrifttum eine erneute und teilweise geänderte Auffassung zum rechtsdogmatischen Umfeld der Lifo-Bilanzierung in der StB herausgebildet (Hüttemann/Meinert, DB 2013, 1865; Herzig, DB 2014, 1756; Drüen/Mundfortz, DB 2014, 2245). Dabei geht es in der Tendenz um eine Neujustierung der Lifo-Bilanzierung im Hinblick auf die Vermeidung einer Scheingewinnbesteuerung.
Ausgangspunkt der Überlegungen (vgl hierzu insb Herzig aaO) ist die nicht mehr gegebene umgekehrte Maßgeblichkeit (s Rn 110), dh, in der StB kann ohne vorherige Anwendung in der HB das Lifo-Verfahren unter den weiteren Voraussetzungen angewandt werden. Des Weiteren stützen sich diese Überlegungen auf ein Zitat aus dem Beschluss des Großen BFH-Senats zum subjektiven Fehlerbegriff (BFH v 31.01.2013, GrS 1/10, BStBl II 2013, 317), in dem es heißt:
Zitat
"Spezielle steuerrechtliche Vorschriften sind dabei auch dann eigenständig auszulegen und anzuwenden, wenn sie im Handelsrecht eine Entsprechung finden [zB Lifo-Verfahren], und zwar unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs, in dem sie im Steuerrecht stehen."
Daraus wird gefolgert: Es gibt einen speziellen GoB-Vorbehalt in § 6 Abs 1 Nr 2a EStG, der den allg GoB-Vorbehalt, der dem Urt des BFH v 20.06.2000, VIII R 32/98, BStBl II 2001, 636 zugrunde liegt, verdrängt. Letzteres trifft indes nicht zu, denn § 5 Abs 1 S 1 EStG nimmt auch nach BilMoG v 25.05.2009 (s vor § 1 Rn 193 (Bitz)) unverändert auf die handelsrechtlichen GoB Bezug (vgl Drüen/Mundfortz, DB 2014, 2245). Das Zitat aus dem Beschluss des GrS bezieht sich im Übrigen auf die Rechtslage vor Erlass ...