A. Die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG
Rn. 61
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Anspruch auf Kindergeld hat nach § 62 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG nur derjenige, der im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Vorschrift beinhaltet eine Ausprägung des Territorialitätsprinzips, welche sachgerecht und verfassungsgemäß ist, BFH v 07.04.2011, III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351. Die Anknüpfung an den Wohnsitz des Anspruchsberechtigten im Inland verstößt nicht gegen EU-Recht, BFH v 14.12.2008, III B 17/08, BFH/NV 2009, 380. Da die Anspruchsberechtigung "für Kinder" besteht, hat das Kind selbst grundsätzlich keinen Anspruch auf Kindergeld (Wendl in H/H/R, § 62 EStG Rz 4 (April 2020)). Anspruchsberechtigt sind nur natürliche Personen, da nur zu ihnen ein Kindschaftsverhältnis bestehen kann (Wendl in H/H/R, § 62 EStG Rz 4 (April 2020)). Selbst wenn juristische Personen für den Unterhalt des Kindes aufkommen, steht ihnen kein Kindergeldanspruch zu, Avvento in Kirchhof/Seer, § 62 EStG Rz 1 (21. Aufl). Wegen der Möglichkeit der Abzweigung in diesen Fällen vgl § 74 Abs 1 S 4 EStG. Der Anspruch besteht nur für Kinder iSd § 63 EStG.
Rn. 62
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Die Tatbestandsvoraussetzungen des Wohnsitzes (§ 8 AO) und die des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9 AO) des Anspruchsberechtigten decken sich mit denen des § 1 Abs 1 EStG (BFH v 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294), dazu ausführlich s § 1 Rn 69ff (Teller). Im Übrigen gelten für die genannten Begriffe die Legaldefinitionen der §§ 8 und 9 AO, BFH v 11.12.2020, III R 6/20, BFH/NV 2021, 646. Insoweit wird auf die einschlägigen Kommentierungen verwiesen. Der Wohnsitzbegriff des § 8 AO entspricht dem des § 30 Abs 3 SGB I (vgl BFH v 23.11.2000, VI R 165/99, BStBl II 2001, 279 unter II.3; BFH v 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Auch dann, wenn sich lediglich der Nebenwohnsitz in Deutschland befindet, besteht bei nichtselbstständiger Beschäftigung und Hauptwohnsitz in anderem EU-Staat ein Anspruch auf Kindergeld, BFH v 18.12.2013, III R 44/12, BStBl II 2015, 143 zu einem deutschen Staatsangehörigen mit Nebenwohnsitz in Deutschland, der in Tschechien sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.
Ein lediglich geplanter inländischer Wohnsitz reicht hingegen nicht aus, BFH v 07.04.2011, III R 77/09, BFH/NV 2001, 1351. Auch ein angemietetes Zimmer kann Wohnsitz einer natürlichen Person iSd § 62 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG iVm § 8 AO sein, sofern es sich hierbei um eine auf Dauer zum Bewohnen geeignete Räumlichkeit handelt, die der Betreffende, wenn auch in größeren Zeitabständen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit tatsächlich zu Wohnzwecken nutzt, BFH v 08.05.2014, III R 21/12, BStBl II 2015, 135. Bei einer Meldung in einer Wohnung eines Familienangehörigen, die lediglich "zu Korrespondenzzwecken" erfolgt ist, ist kein Wohnsitz gegeben, BFH v 13.12.2014, III R 38/12, HFR 2015, 584. Ein inländischer Wohnsitz wird nicht begründet, wenn von vornherein klar ist, dass die im Inland gelegenen Räumlichkeiten nur beschränkt für einen Zeitraum von höchstens drei Monaten genutzt werden können, FG Münster v 15.09.2019, 5 K 3345/17 Kg zu einer im Haushalt der zu pflegenden Person untergebrachten Pflegekraft.
Der Wohnsitz des Anspruchsberechtigten im Inland wird bei zeitlich befristetem einjährigem Auslandsaufenthalt und vorübergehender Untervermietung der inländischen Wohnung mit der Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung nicht aufgegeben, FG München v 04.07.2016, 7 K 2435/15.
Als gewöhnlicher Aufenthalt ist dabei stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt (§ 9 S 2 AO), vgl BFH v 14.05.2014, XI R 56/10, BFH/NV 2015, 169 zu den Voraussetzungen für kurzfristige Unterbrechungen. Kurzfristige Unterbrechungen iSd § 9 Abs 2 Hs 2 AO liegen nicht vor, wenn sich jeweils an die ein- bis dreimonatigen Aufenthalte der Pflegekraft in Deutschland ein- bis zweimonatige Aufenthalte bei der in Polen lebenden Familie anschließen, unter diesen Umständen wird der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland beibehalten, FG Münster v 15.09.2019, 5 K 3345/17 Kg zu einer im Haushalt der zu pflegenden Person untergebrachten Pflegekraft. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland kann auch dann gegeben sein, wenn ein ArbN mehrfach aufeinander folgend in das Inland entsandt wird, sofern objektive Umstände vorliegen, die für einen solchen Zusammenhang und eine Fortdauer des Anlasses sprechen, BFH v 19.06.2015, III B 143/14, BFH/NV 2015, 1386.
Rn. 63
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Zur Frage des Wohnsitzes im Inland bei einer Ehefrau, die mit ihrer Familie im Ausland wohnt und außerdem in der Wohnung ihrer Eltern im Inland ein Zimmer hat, das sie gelegentlich benutzt, vgl BFH v 09.08.1999, VI B 387/98, BFH/NV 2000, 42. Die Beibehaltung einer vollständig eingerichteten Wohnung im Inland, die regelmäßig zweimal im Jahr für die Dauer von zwei bis drei Wochen genutzt wird, begründet nach BFH v 26.01.2001, VI R 89/00, BFH/NV 2001, 1018 bei dauerh...