A. Überblick über die Vorschrift
Rn. 1
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
§ 65 Abs 1 S 1 EStG bestimmt, dass Kindergeld nicht zu zahlen ist, wenn eine der in § 65 Abs 1 S 1 Nr 1–3 EStG genannten kindbezogenen Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre. Dabei handelt es sich um dem Kindergeld vergleichbare innerstaatliche (Nr 1) und ausländische (Nr 2) Leistungen sowie solche zwischen- oder überstaatlicher Organisationen (Nr 3).
§ 65 Abs 1 S 2 EStG regelt, dass die in § 65 Abs 1 S 1 EStG genannten Leistungen dem Kindergeld gleich stehen, soweit es nach den Vorschriften des EStG auf den Erhalt des Kindergelds ankommt.
§ 65 Abs 1 S 3 EStG schränkt den Ausschlusstatbestand des § 65 Abs 1 S 1 Nr 3 EStG in den Fällen ein, in denen dem Ehegatten des Berechtigten als Bedienstetem der EG für das Kind ein Anspruch auf Kinderzulage zusteht.
§ 65 Abs 2 EStG regelt, dass ein sog Teilkindergeld in den Fällen zu zahlen ist, in denen die Kinderzulagen bzw Kinderzuschüsse das Kindergeld nach § 66 EStG unterschreiten.
B. Entstehungsgeschichte und Rechtsentwicklung
Rn. 2
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Die Vorschrift wurde durch das JStG 1996 (BGBl I 1995, 1529) in das EStG eingefügt. Das 1. SGB III-ÄndG (BGBl I 1997, 2970) hat § 65 Abs 1 S 3 EStG neu gefasst, s § 62 Rn 32 (Pust).
Rn. 3
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Das StEuglG v 19.12.2000, BGBl I 2000, 1790 hat mit Wirkung ab dem 01.01.2002 den Betrag von 10 DM in § 65 Abs 2 EStG durch 5 EUR ersetzt.
Rn. 4
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Das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v 23.12.2003, BGBl I 2003, 2818 hat die Bezeichnung "Bundesanstalt" für Arbeit durch "Bundesagentur" ersetzt.
Rn. 5
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Durch das AmtshilfeRLUmsG v 26.06.2013, BGBl I 2013, 1809 ist eine weitere redaktionelle Anpassung (vgl dazu BT-Drucks 17/10.000, 60) des § 65 Abs 1 S 3 EStG erfolgt.
Rn. 6–9
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vorläufig frei
C. Anwendungsbereich der Vorschrift
1. Sachlicher Anwendungsbereich
Rn. 10
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Die Vorschrift beinhaltet ein Kumulierungsverbot (Vermeidung von Doppelleistungen), vgl dazu BFH v 19.10.2012, III R 87/09, BStBl II 2013, 1030; BFH v 16.05.2013, III R 8/11, BStBl II 2013, 1040; FG Köln EFG 2013, 801 in den Fällen der Anspruchskonkurrenz. Die Zahlung des Kindergelds soll dann unterbleiben, wenn für das Kind ein Anspruch auf kindergeldähnliche Leistungen besteht, die im Inland oder im Ausland gewährt werden, Selder in Brandis/Heuermann, § 65 EStG Rz 1, 10 (Mai 2020). § 65 Abs 1 S 1 EStG findet auch dann Anwendung, wenn die kindergeldähnlichen Leistungen für das betreffende Kind an einen anderen geleistet worden sind (BFH v 13.08.2002, VIII R 53/01, BStBl II 2002, 867; Anm Greite, FR 2003, 157) bzw ein anderer den Anspruch auf diese Leistungen besitzt, ausführlich dazu s Rn 26, 29.
Soweit Inlandssachverhalte betroffen sind, ist die Vorschrift weitgehend bedeutungslos, ausführlich dazu s Rn 37f. Sofern die Sachverhalte Bezug zum EU-Ausland/EWR/zur Schweiz aufweisen, wird § 65 EStG weitgehend vom Unionsrecht überlagert, BFH v 21.02.2018, III R 3/17, BFH/NV 2018, 726; Selder in Brandis/Heuermann, § 65 EStG Rz 3 (Mai 2020).
2. Verhältnis zum Europäischen Recht und zum Abkommensrecht
Rn. 11
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Bestehen Ansprüche auf kindergeldähnliche ausländische Leistungen, wird die Anwendung des § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG durch vorrangige über- oder zwischenstaatliche Abkommen ausgeschlossen, ausführlich dazu s Rn 91f. Dies betrifft Ansprüche auf kindergeldähnliche Leistungen, Wendl in H/H/R, § 65 EStG Rz 3 (Juni 2020).
§ 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG, der die Anrechnung von im Ausland gewährten, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen regelt, wird durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt (BVerfG v 08.06.2004, 2 BvL 5/00, BFH/NV 2005, Beil 1, 33 unter A.I.2; EuGH v 20.05.2008, C-352/06, DStRE 2009, 1251 (Bosmann); BFH v 17.04.2008, III R 36/05, BStBl II 2009, 921. Ferner hat der EuGH v 12.06.2012, C 611/10, C 612/10, DStRE 2012, 999 (Hudzinski und Wawrzyniak) in einer Fallkonstellation, in welcher der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr 1408/71 eröffnet und Deutschland nach Art 14 Nr 1 Buchst a VO Nr 1408/71 (sogar) der unzuständige Mitgliedstaat war, entschieden, dass § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG aufgrund der Bestimmungen der Art 45ff AEUV betreffend die ArbN-Freizügigkeit nicht zum Ausschluss, sondern nur zu einer Kürzung des deutschen Kindergeldes um die Höhe des Betrags der in dem anderen Staat gewährten vergleichbaren Leistung führen darf; vgl auch BFH v 18.07.2013, III R 51/09, BStBl II 2016, 947; BFH v 05.09.2013, XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33.
Auf das Vorabentscheidungsersuchen des BFH v 08.05.2014, BStBl II 2015, 329 hat der EuGH ferner mit Urt EuGH v 22.10.2015, C-378/14, DStRE 2015, 1501 (Trapkowski) entschieden, die in Art 60 Abs 1 S 2 VO (EG) Nr 987/2009 vorgesehene Fiktion könne dazu führen, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht einem einzelnen Elternteil zusteht, sondern letztlich der Familie, wobei sich die Familienzu...