Rn. 202
Stand: EL 170 – ET: 01/2024
Das BVerfG (BVerfG vom 28.11.1984, 1 BvR 1157/82, Rz 49) hatte im Jahr 1984 anlässlich der ihm vorgelegten Frage, ob die Anhebung des Zinssatzes von 5,5 % auf 6 % noch verfassungskonform sei, darauf hingewiesen, dass nicht jeglicher gesetzliche Rechnungszinsfuß zu billigen sei. Es führte aus:
Zitat
"Sollten sich in Zukunft die wirklichen Verhältnisse so einschneidend ändern, dass die Grundlage der gesetzgeberischen Entscheidung durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen in Frage gestellt wird, dann kann der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sein, zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist."
Seit 1984 hat sich aber das nachhaltige Zinsniveau des Kapitalmarktes entscheidend geändert. Während damals das nachhaltige Zinsniveau des Kapitalmarktes im Durchschnitt der letzten zehn Jahre bei ca 7,7 % lag, machte es 2022 nur noch ca 1,78 % aus (RückstellungsabzinsungsVO zu § 253 Abs 2 S 4f HGB, Höfer/de Groot/Küpper, BetrAVG Bd I Arbeitsrecht, § 16 Rz 220 (März 2023) Tabelle, nicht eingeklammerter Wert). Der Unterschied zwischen einer Abzinsung mit 6 % oder mit nur 1,78 % ist ganz erheblich. Wenn ein in zwölf Jahren fälliges Kapital von 100 Geldeinheiten mit 6 % abgezinst wird, beträgt sein Barwert nur ca 50 Geldeinheiten, während der Barwert bei der Abzinsung mit 1,78 % ca. 91 Geldeinheiten ausmacht. Bei sechsprozentiger Abzinsung wird die Pensionsverpflichtung also spürbar unterbewertet.
Deshalb kann man mit dem FG Köln (FG Köln vom 12.10.2017, 10 K 977/17, zum Verfahren beim BVerfG unter 2 BvL 22/17 s unten) davon ausgehen, dass eine nicht abzusehende Entwicklung iSd BVerfG eingetreten ist und dass deshalb das Festhalten des Gesetzgebers am 6 %igen Rechnungszinsfuß von der Verfassung nicht mehr gedeckt wird. Insbesondere könnte der Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG verletzt sein, da die Lasten aus der Versorgung bei der Besteuerung nicht hinreichend berücksichtigt werden. Auch die Literatur bezweifelt die Rechtmäßigkeit des Festhaltens an dem 6 %igen Rechnungszinsfuß (Geberth, DB 2015, 136; Hey/Steffen, ifst-Schrift 511 (2016); Prinz/Keller, DB 2016, 1033; Anzinger, DStR 2016, 1829; Geilenkothen/Hagemann/Lucius/Oecking, BetrAV 2017, 400; Hey, BetrAV 2017, 396; Höfer, DB 2018, 66; Schätzlein, BetrAV 2018, 175; Stellungnahme der aba, BetrAV 2018, 301).
Der Vorlagebeschluss des FG Köln vom 12.10.2017, 10 K 977/17, ist mit Beschluss des BVerfG vom 28.07.2023, 2 BvL 22/17, DStR 2023, 2051 allerdings als "unzulässige Richtervorlage" wegen "unzureichende Begründung des Vorlagebeschlusses" negativ beschieden worden.