1. Abzweigung in den Fällen, in denen mangels Leistungsfähigkeit keine Unterhaltsverpflichtung des Kindergeldberechtigten besteht (§ 74 Abs 1 S 3 EStG 1. Alt)
Rn. 25
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung über eine Abzweigung liegen auch dann vor, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, BFH vom 25.05.2004, VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171; BFH vom 23.02.2006, III R 65/04, BStBl II 2008, 753. Die Voraussetzungen des § 74 Abs 1 S 1 und 3 EStG sind dem Grunde nach auch dann erfüllt, wenn der Kindergeldberechtigte nicht zum Unterhalt seines volljährigen, behinderten Kindes verpflichtet ist, weil es Grundsicherungsleistungen nach § 41ff SGB XII erhält, BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2009, 926; BFH vom 11.08.2010, III S 19/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2064.
Die mangelnde Leistungsfähigkeit bezieht sich auf die finanzielle Leistungsfähigkeit. Die Vorschrift setzt nicht voraus, dass der Kindergeldberechtigte seine Unterhaltspflicht schuldhaft nicht erfüllt oder den Straftatbestand der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170b StGB) verwirklicht, BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2008, 753; FG BdW vom 11.11.2008, 4 K 2281/07, EFG 2009, 492. Der Kindergeldberechtigte soll das für den Unterhalt des Kindes bestimmte Kindergeld nicht für sich selbst behalten, wenn er gegenüber dem Kind nicht zum Barunterhalt verpflichtet ist. Der Kindergeldberechtigte ist dann mangels Leitungsfähigkeit nicht zum Unterhalt gegenüber dem Kind verpflichtet, wenn er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts Kindesunterhalt zu leisten, § 1603 Abs 1 BGB.
Die Vorschrift betrifft ausschließlich die Barunterhaltsverpflichtung iSd § 1612 Abs 1 S 1 BGB. Leistet der Kindergeldberechtigte Naturalunterhalt, indem er das Kind in seinen Haushalt aufnimmt, kommt eine Abzweigung nicht in Betracht, BFH vom 18.04.2013, V R 48/11, BStBl II 2013, 697, es sei denn, der Berechtigte bezieht selbst Grundsicherungsleistungen (vgl BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2009, 926) oder er hat nachweislich keine Aufwendungen für ein vollstationär oder vergleichbar untergebrachtes Kind, V 33.2 Abs 2 S 2 DA-KG 2023.
Rn. 26–29
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
vorläufig frei
2. Abzweigung in den Fällen, in denen die Unterhaltsverpflichtung in Höhe eines Betrages besteht, der geringer ist als das zur Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld (§ 74 Abs 1 S 3 EStG 2. Alt)
Rn. 30
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Nach § 74 Abs 1 S 3 2. Alt EStG liegen die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung über die Abzweigung auch dann vor, wenn der Kindergeldberechtigte nur zu Barunterhaltszahlungen verpflichtet ist, die geringer sind als das zur Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Es sind dies insb die Fälle der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit des Kindergeldberechtigten. Der Kindergeldberechtigte, dessen gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind geringer ist als das zur Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld, das sich nach § 76 EStG ergibt, soll das festgesetzte Kindergeld jedenfalls nicht ungeschmälert für sich behalten dürfen. Auch in diesem Fall bedarf es einer Ermessensentscheidung der Familienkasse über die Abzweigung und deren Höhe.
Rn. 31
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Auch in den Fällen, in denen der Kindergeldberechtigte ausschließlich Sachleistungen erbringt, sind die Voraussetzungen des § 74 Abs 1 S 3 2. Alt EStG gegeben, so FG Münster vom 10.08.2006, 14 K 4461/05 Kg, EFG 2006, 1684, nachfolgend BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2009, 926; FG Sachsen vom 20.11.2006, 5 K 875/03 (Kg).
§ 74 Abs 1 S 3 2. Alt EStG stellt allein auf die Barunterhaltspflicht bzw Barunterhaltsleistungen ab, vgl dazu BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2009, 926; BFH vom 09.02.2009, III R 37/07, BStBl II 2009, 928; so auch V 33.2 Abs 1 S 1 DA-KG 2023, 3. Spiegelstrich. Dies gilt auch für die Fälle, in denen das pflegebedürftige Kind vollstationär untergebracht ist und der Träger die Kosten der Unterbringung nach SGB XII oder der Betreuung nach SGB IX erbringt, vgl BFH vom 18.04.2013, V R 48/11, BStBl II 2013, 697; V 33.2 Abs 4 DA-KG 2023.
Fiktive Kosten der Eltern für die Betreuung des Kindes sind nicht zu berücksichtigen, sondern nur tatsächlich entstandene Aufwendungen der Eltern für das Kind. Der Umstand, dass die kindergeldberechtigten Eltern Betreuungsleistungen erbringen, für die ihnen Aufwendungen entstanden sind, oder auch Sachleistungen oder auch Geldleistungen erbringen, ist ausschließlich iRd Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, die neben der Frage, ob eine Abzweigung zu erfolgen hat, auch die Höhe des abgezweigten Betrages betrifft, vgl dazu BFH vom 17.02.2004, VIII R 58/03, BStBl II 2006, 130; BFH vom 17.12.2008, III R 6/07, BStBl II 2009, 926; BFH vom 09.02.2009, III R 37/07, BStBl II 2009, 928; BFH vom 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.
Rn. 32
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Nach FG Münster vom 25.03.2011, 12 K 2057/10 Kg, EFG 2011, 1327 sind bei einem volljährigen schwerstbehinderten Kind, das im Haushalt der Eltern lebt, konkret dargelegte und hinreichend glaubhaft gemachte Betreuungsleistungen der Eltern mit 8 EUR je Stunde bei den Aufwendungen der Eltern zu berücksichtigen, nicht jedoch fiktive Kinderbetreuungskosten.
Für ein im Ha...