1. Entscheidung von Amts wegen
Rn. 51
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Für die Abzweigung bedarf es keines Antrags, hierüber hat die Familienkasse von Amts wegen zu entscheiden, BFH vom 25.09.2008, III R 16/06, BFH/NV 2009, 164. Wird das Auszahlungsersuchen einer Stelle nicht oder nicht ausschließlich auf § 74 Abs 1 EStG gestützt, ist nach V 33.1 Abs 3 S 4 DA-KG 2023 zunächst zu prüfen, ob eine Erstattung des Kindergelds nach § 74 Abs 2 EStG iVm §§ 103, 104 SGB X in Betracht kommt.
Diese Auffassung ist abzulehnen. Die Familienkasse hat das Begehren auszulegen, wenn nicht eindeutig erkennbar ist, ob der Sozialleistungsträger ein Abzweigungsbegehren oder ein Erstattungsbegehren geltend macht (BFH vom 19.04.2012, III R 85/09, BStBl II 2013, 19); selbst wenn ausdrücklich ein Antrag auf Erstattung gestellt wird, ist es nicht ausgeschlossen, dem Begehren auf Auszahlung des Kindergeldes durch eine Abzweigung nachzukommen, BFH vom 25.09.2008, III R 16/06, BFH/NV 2009, 164.
Hat das finanzgerichtliche Verfahren die Abzweigung von Kindergeld nach § 74 Abs 1 S 4 EStG zum Gegenstand, ist der Einwand des Sozialleistungsträgers unbeachtlich, die Familienkasse sei wegen eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs 2 EStG iVm § 104 Abs 1 S 4 SGB X ebenso zahlungsverpflichtet, wie sie es bei einer rechtmäßigen Abzweigung wäre, BFH vom 13.08.2007, III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276.
Rn. 52
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Abzweigung des Kindergelds ist nach V 33.1 Abs 3 S 1 DA-KG 2023 schriftlich geltend zu machen. Die antragstellende Person oder Stelle muss nach V 33.1 Abs 3 S 2 DA-KG 2023 im Einzelnen darlegen, dass die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Dafür steht der Vordruck "Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes (Abzweigungsantrag)" zur Verfügung, V 33.1 Abs 3 S 3 DA-KG 2023.
Ob die Abzweigungsvoraussetzungen gegeben sind, kann sich zB auch aus dem Kindergeldantrag ergeben, der nicht vom Kindergeldberechtigten selbst, sondern wegen eines berechtigten Interesses an der Kindergeldauszahlung nach § 67 Abs 1 S 2 EStG vom Antragsberechtigten gestellt worden ist. Der Abzweigungsberechtigte ist allerdings antragsbefugt, BFH vom 26.01.2001, VI B 310/00, BFH/NV, 2001, 896.
Der Kindergeldberechtigte bzw der Sozialleistungsträger ist zu dem Verfahren über die Abzweigung beizuladen, BFH vom 09.02.2004, VIII R 21/03, BFH/NV 2004, 662; BFH vom 20.08.2007, III B 194/06, BFH/NV 2007, 2314.
Hat die Familienkasse zugunsten des Sozialleistungsträgers die Abzweigung verfügt, ist dieser klagebefugt, wenn die Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, BFH vom 12.01.2001, VI R 181/97, BStBl II 2001, 443.
Rn. 53–55
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
vorläufig frei
2. Ermessensentscheidung
Rn. 56
Stand: EL 173 – ET: 06/2024
Die Entscheidung der Familienkasse über die Abzweigung hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen. Es handelt sich um einen VA mit Doppelwirkung. Dies betrifft
- sowohl die Frage, ob bei dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 74 Abs 1 S 1, 3 EStG ggf iVm § 74 Abs 1 S 4 EStG eine Abzweigung zu erfolgen hat,
- als auch die Entscheidung über die Höhe des Abzweigungsbetrages.
Bei der Ermessensentscheidung über die Höhe der Abzweigung hat die Familienkasse alle Aufwendungen des Kindergeldberechtigten für den Unterhalt des Kindes, wie zB Schulgeld, zu berücksichtigen, BFH vom 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695. Nach V 33.1 Abs 3 S 8 DA-KG 2023 hat eine Entscheidung, mit der Kindergeld abgezweigt wird, stets unter dem Vorbehalt des Widerrufs nach § 120 Abs 2 Nr 3 AO zu ergehen. Ein Bescheid über die Ablehnung einer Abzweigung, der keine Bestimmung über das Ende seines Regelungszeitraums enthält, trifft nur eine Regelung bis zur Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung, dh bis zur Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides oder einer nachfolgenden Einspruchsentscheidung, sofern die Familienkasse in dieser über die Abzweigung sachlich entschieden hat, BFH vom 17.10.2013, III R 23/13, BFH/NV 2014, 404.
Die Grenzen des Ermessens sind insbes dann nicht eingehalten, wenn die Kindergeldkasse ihrer Pflicht, ein Ermessen auszuüben, nicht nachkommt. Für eine fehlerfreie Ermessensausübung ist ferner Voraussetzung, dass die Entscheidung der Familienkasse auf der Grundlage des zutreffend und erschöpfend ermittelten Sachverhalts ergeht und dabei alle maßgeblichen Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt, BFH vom 27.05.2020, III R 58/18, BFH/NV 2020, 1286; vgl zum Fall der Ermessensunterschreitung zu Lasten der Familienkasse FG München vom 14.02.2007, 10 K 930/06. Die Entscheidung kann nur nach einer Anhörung des Kindergeldberechtigten erfolgen (§ 91 AO). Entsprechendes gilt für die Änderung oder Aufhebung einer bereits getroffenen Abzweigungsentscheidung.
Für eine sachgerechte Ermessensentscheidung ist es erforderlich, dass die Familienkasse die vom Kindergeldberechtigten erbrachten Unterhaltsleistungen vollständig erfasst und der Höhe nach beziffert. Nur wenn sich die Höhe der vom Kindergeldberechtigten tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen nicht mehr – auch nicht durch Schätzung – ermitteln läss...