A. Überblick über die Vorschrift
Rn. 1
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
§ 75 Abs 1 EStG enthält eine Durchbrechung des sich aus § 394 BGB iVm § 226 AO, § 76 EStG ergebenden Aufrechnungsverbots, welches bestimmt, dass gegen Kindergeldansprüche des Leistungsberechtigten eine Aufrechnung grds ausgeschlossen ist.
Rn. 2
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
§ 75 Abs 2 EStG enthält eine Ausnahme von dem Prinzip der Gegenseitigkeit der Forderungen, das für die Aufrechnung gilt. Die Vorschrift erweitert die Aufrechnungsmöglichkeiten der Familienkasse, sie kann eine Erstattungsforderung auch gegenüber einem anderen Kindergeldberechtigten aufrechnen, der mit dem Erstattungspflichtigen in Haushaltsgemeinschaft lebt.
B. Bedeutung der Vorschrift
Rn. 3
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
Zwecks Aufrechterhaltung des bisherigen sozialrechtlichen Rechtszustandes (vgl BT-Drucks 13/1658; § 23 Abs 2 BKGG aF und § 12 BKGG iVm § 51 Abs 2 SGB I) trifft § 75 EStG eine Sonderregelung zur Aufrechnungsbefugnis der Familienkasse. Die Aufrechnung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Familienkasse. Wegen des einfachen Verfahrens bei der Einbehaltung vom laufenden Kindergeld sind die Familienkassen allerdings angewiesen, von der Aufrechnungsmöglichkeit stets Gebrauch zu machen, V 28.1 Abs 3 S 1, S 2 DA-KG 2023.
Durch § 75 EStG ist ausschließlich die Aufrechnung durch die Familienkasse gegen Ansprüche des Berechtigten geregelt. Die Vorschrift betrifft hingegen nicht die Aufrechnung durch den Berechtigten oder durch die Familienkasse gegenüber anderen Leistungsträgern; für diese gelten die allgemeinen Vorschriften (§ 226 AO iVm § 387 BGB), Selder in Brandis/Heuermann, § 75 EStG Rz 1 (Oktober 2021).
C. Rechtsentwicklung
Rn. 4
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
Das FamFördG vom 22.12.1999, BGBl I 1999, 2552 hat die bis zum 31.12.1999 nur gegenüber dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten des Erstattungspflichtigen bestehende Aufrechnungsmöglichkeit auf Kindergeldberechtigte ausgedehnt, die mit dem Rückzahlungsverpflichteten in Haushaltsgemeinschaft leben, soweit es sich um laufendes Kindergeld für ein Kind handelt, das bei beiden berücksichtigt werden kann, DA 75.1 Abs 1 S 2 DA-FamEStG; BT-Drucks 14/1513, 17.
Durch das 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2003, 2954 ist § 75 Abs 1 EStG mit Wirkung ab dem 01.01.2005 dahin ergänzt worden, dass eine Aufrechnung auch dann nicht möglich ist, wenn der Berechtigte dadurch bedürftig iSd Vorschriften des II. Buches Sozialgesetzbuch über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts würde.
Das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 2003, 3022 hat die Bezugnahme auf die Vorschriften des Bundessozialhilferechts mit Wirkung ab dem 01.01.2005 durch die Bezugnahme auf das XII. Buch Sozialgesetzbuch ersetzt.
Das JStG 2007 vom 13.12.2006, BGBl I 2006, 2878 hat mit der Änderung des § 75 Abs 1 EStG eine Anpassung der Vorschrift mit Wirkung ab dem VZ 2007 an § 12 BKGG iVm § 51 SGB I vorgenommen.
Das Gesetz zur Anpassung der AO an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (ZollkodexAnpG) vom 22.12.2014, BGBl I 2014, 2417) hat mit Wirkung vom 01.01.2015 in § 75 Abs 1 S 1 EStG den Begriff der Rückzahlung – in Anpassung an § 37 Abs 2 AO – durch den der Erstattung ersetzt. Durch die Änderung des § 75 Abs 1 EStG wird zudem klargestellt, dass eine Aufrechnung nicht nur gegen Ansprüche auf laufendes Kindergeld, sondern auch gegen Ansprüche auf Nachzahlung von Kindergeld bis zu deren Hälfte zulässig ist (BT-Drucks 18/3017, 51). Der Gesetzgeber hat allerdings in § 75 Abs 2 EStG, der die Aufrechnungsmöglichkeit des § 75 Abs 1 EStG ausdehnt, das Wort "laufendes" (Kindergeld) nicht gestrichen, dies ist aber unschädlich, da die Änderung durch das ZollkodexAnpG nur klarstellende Wirkung hat, Selder in Brandis/Heuermann, § 75 EStG Rz 7 (Oktober 2021): Streichung vergessen; Janda in K/S/M, § 75 EStG Rz C 7 (Juni 2022): Versehen des Gesetzgebers.
Rn. 5–9
Stand: EL 172 – ET: 04/2024
vorläufig frei