Rn. 68
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Der Wortlaut des § 9 Abs 1 S 1 EStG legt einen final ("zur" Erwerbung, Sicherung und Erhaltung) ausgerichteten WK-Begriff nahe, wohingegen der BA-Begriff des § 4 Abs 4 EStG kausal ("die durch den Betrieb veranlasst sind") formuliert ist. Tatsächlich hat der BFH anfänglich die WK final definiert (BFH v 15.11.1957, VI 79/55 U, BStBl III 1958, 103). Diese finale Ausrichtung bereitete aber Probleme bei Ausgaben, die zwar gerade nicht der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung dienten, über deren Abzugsfähigkeit aber allgemein Übereinstimmung bestand, also Aufwendungen für bereits gesicherte Einnahmequellen, nachträgliche Ausgaben (s Rn 99ff), unfreiwillige Aufwendungen (s Rn 78f) und Abwehraufwendungen (s Rn 80). Hinzu kommt, dass eine erheblich voneinander abweichende Rspr zu BA einerseits und WK andererseits im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG kaum zu rechtfertigende Wertungswidersprüche aufwerfen würde (so auch Tipke, Die Steuerrechtsordnung, II, 2. Aufl, 765).
Der BFH hat demgemäß ab Beginn der 60er Jahre (BFH v 02.03.1962, VI 79/60 S, BStBl III 1962, 192) angefangen, den WK-Begriff in Anlehnung an den BA-Begriff des § 4 Abs 4 EStG hin zum heute maßgeblichen Veranlassungsprinzip zu entwickeln (s Rn 66), dem auch die herrschende Literatur zustimmt (s Thürmer in Brandis/Heuermann, § 9 EStG Rz 114; Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl 2021, Rz 8.230; v Bornhaupt in K/S/M, § 9 EStG Rz B 173; Krüger in Schmidt, § 9 EStG Rz 41). Stapperfend, FS für Kruse, 2001, 538 will demgegenüber auch weiterhin auf den Veranlassungszusammenhang nur in Ausnahmefällen als "Auffangmöglichkeit" zurückgreifen, nämlich wenn die Aufwendungen sich nicht auf die Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung auswirken können. Wenn die Aufwendungen dazu aber generell geeignet seien, sei allein auf den finalen WK-Begriff abzustellen.
Rn. 69
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Unter welchen Voraussetzungen aber konkret eine steuerlich relevante Veranlassung der Aufwendungen vorliegt, dh, wie der Begriff der Veranlassung en detail auszufüllen ist, darüber besteht eine schier unbegrenzte Meinungsvielfalt (s Kreft, Vorab veranlasste Erwerbsaufwendungen im ESt-Recht, 2000, 54 ff mwN). Dabei lassen sich die verschiedenen Ansichten häufig schon schwer einer bestimmten Gruppe zuordnen (Kreft aaO unterscheidet zB zwischen "Kausaltheorien" und "Veranlassungstheorien"); diese Gruppen wiederum sind in Anhänger von subjektiven und objektiven Kriterien in unterschiedlicher Ausprägung zu unterteilen.
- Die Anhänger der kausalen Veranlassungstheorie (zB Söhn, StuW 1983, 193; Wanner, StuW 1987, 302) setzen den Begriff der Veranlassung gleich mit dem der Verursachung, mit dem Ergebnis, dass Aufwendungen dann durch eine Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen veranlasst sei, wenn diese ohne die Tätigkeit nicht angefallen wären ("conditio sine qua non").
- Die Verfechter der finalen Veranlassungstheorie (zB Prinz, StuW 1996, 263; Wassermeyer, StuW 1981, 245 und StuW 1982, 352; s auch Stapperfend, FS für Kruse, 2001, 539ff) lehnen dies ab, da das bloße Abstellen auf die Kausalität das subjektive Moment auf Seiten des StPfl außer Acht lasse.
Sowohl die Vertreter der kausalen wie der finalen Veranlassungstheorie ziehen ggf auch objektive bzw subjektive Kriterien zur Lösung problematischer Fälle heran. Im Ergebnis ist mit Stapperfend (aaO) davon auszugehen, dass die verschiedenen Theorien in aller Regel zu weitgehend gleichen Ergebnissen kommen.
Rn. 70
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
vorläufig frei