Rn. 614
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
§ 9 Abs 4 S 8 EStG sieht vor, dass auch eine Bildungseinrichtung eine erste Tätigkeitsstätte sein kann (Fiktion). Erklärtes Ziel dieser Neuregelung war die Außerkraftsetzung der BFH-Rspr, wonach es sich bei einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung nicht um eine regelmäßige Arbeitsstätte handelte (s BFH v 09.02.2012, VI R 44/10, BStBl II 2013, 234; BFH v 09.02.2012, VI R 42/11, BStBl II 2013, 236).
Rn. 615
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Unter einer Bildungseinrichtung ist jede Anstalt oder jeder Ort zu verstehen, an dem Wissen oder Bildung vermittelt wird, vorzugsweise iRd Berufsaus- und -weiterbildung (Kreft/Bergkemper in H/H/R, § 9 EStG Rz 562).
Rn. 616
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Voraussetzung ist, dass die Bildungseinrichtung außerhalb eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Das Studium/die Bildungsmaßnahme erfolgt dabei "außerhalb eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses", wenn es nicht Gegenstand eines Arbeitsverhältnisses ist oder ohne arbeitsvertragliche Verpflichtung absolviert wird und die Beschäftigung lediglich das Studium oder die Beschäftigung ermöglicht (BMF v 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 Tz 33). Sie wird "zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht", wenn der StPfl
- neben dem Studium/der Bildungsmaßnahme keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder
- während der gesamten Dauer des Studiums/der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses iSd §§ 8 u 8a SGB IV ausübt (BMF v 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 Tz 34).
Die Zeitdauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme ist für die Einordnung (Fiktion) einer Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte unerheblich (BFH v 14.05.2020, VI R 24/18, BStBl II 2020, 770). Denn das Gesetz benennt in § 9 Abs 4 S 8 EStG keine zeitliche Mindestdauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme, damit eine Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte gilt. Der Gesetzgeber darf in diesem Zusammenhang davon ausgehen, dass der StPfl die Bildungseinrichtung, wenn auch nur für die Dauer des regelmäßig zeitlich befristeten Ausbildungsgeschehens nicht nur gelegentlich, sondern fortdauernd und immer wieder – und damit dauerhaft – aufsucht.
In diesem Fall sind nach § 9 Abs 4 S 8 Hs 2 EStG (eingefügt durch das KroatienAnpG v 25.07.2014, BGBl I 2014, 1266) die für ArbN geltenden Regelungen zur Entfernungspauschale (§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG), für sonstige beruflich veranlasste Fahrten (§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG) sowie zur Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen für Verpflegung (§ 9 Abs 4a EStG) entsprechend anwendbar (BT-Drucks 18/1529, 51). Der StPfl trifft hier selbst die Entscheidung für die jeweilige Bildungseinrichtung. Er hat deshalb – vergleichbar einem ArbN, der einer betrieblichen Einrichtung dauerhaft zugeordnet ist – die Möglichkeit, sich auf die ihm entstehenden Wegekosten einzurichten und deren Höhe zu beeinflussen (BT-Drucks 17/10774, 15). Die Regelung ist daher verfassungsgemäß (FG Sachsen v 13.12.2017, 5 K 133/17, EFG 2018, 363 rkr; zweifelnd Kreft/Bergkemper in H/H/R, § 9 EStG Rz 562).
Rn. 617
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Auch wenn auch bei kurzzeitigen Vollzeitausbildungen die erste Tätigkeitsstätte des StPfl regelmäßig in der aufgesuchten Bildungseinrichtung zu verorten ist, schließt dies eine "Auswärtstätigkeit" während einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme oder eines Vollzeitstudiums nicht aus. Sieht bspw die Studienordnung einer Universität vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer anderen (weiteren) Hochschule (Auslandssemester) absolvieren können bzw müssen, wird an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte iSd § 9 Abs 4 S 8 EStG begründet; Entsprechendes gilt für ein Praxissemester oder Praktikum (BFH v 14.05.2020, VI R 3/18, BStBl II 2021, 302).
Rn. 618–629
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
vorläufig frei