Rn. 102
Stand: EL 161 – ET: 11/2022
Hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen für einen Finanzierungskredit, die auf die Zeit nach der Veräußerung des Objekts der Einkünfteerzielung entfallen, hat die Rspr in jüngerer Zeit einen grundlegenden Richtungswechsel vollzogen. Der BFH hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass mit Beendigung der Einkünfteerzielung der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen dem Darlehen und der Einkunftsart gelöst werde. Reiche der Veräußerungserlös aus der Veräußerung des WG nicht aus, um sämtliche Verbindlichkeiten zu tilgen, so habe dies seine Ursache in einem auf der privaten Vermögensebene erlittenen, nicht steuerbaren Veräußerungsverlust (so noch BFH v 25.01.2001, IX R 27/97, BStBl II 2001, 573; BFH v 05.10.2004, VIII R 64/02, BFH/NV 2005, 54).
Demgegenüber hatte der BFH im Bereich der Gewinneinkünfte immer schon nachträgliche BA anerkannt, wenn nach Aufgabe der betrieblichen Tätigkeit ein Schuldenüberhang verblieb (zB BFH v 19.08.1998, X R 96/95, BStBl II 1999, 353; BFH v 28.03.2007, X R 15/04, BStBl II 2007, 642). Diese Rspr hat in der überwiegenden Literatur heftige Kritik ausgelöst (vgl die Darstellung des historischen Meinungsstands bei v Bornhaupt in K/S/M, § 9 EStG Rz C 55 ff mwN; Drenseck in Schmidt, § 9 EStG Rz 40 mwN, 29. Aufl).
Rn. 103
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Eine Wende in der Rspr vollzog zunächst der VIII. Senat des BFH (BFH v 16.03.2010, VIII R 20/08, BStBl II 2010, 787) in Bezug auf Schuldzinsen zur Finanzierung einer wesentlichen Beteiligung nach § 17 EStG. Mit der Herabsetzung der Beteiligungsgrenze auf zunächst 10 % und anschließend auf nur noch 1 % habe der Gesetzgeber für Beteiligungen iSd § 17 EStG eine weitgehende Gleichstellung mit den Gewinneinkünften vollzogen. Vor diesem Hintergrund sei eine Zuweisung der nachträglichen Finanzierungskosten zur Ebene der privaten Vermögensebene nicht mehr zu rechtfertigen.
Dem hat sich schließlich auch der IX. Senat des BFH v 20.06.2012, IX R 67/10, BStBl II 2013, 275 für den Bereich der Einkünfte aus VuV angeschlossen (ebenso zuvor schon Fuhrmann, NWB 2010, 2942; Jachmann/Schallmoser, DStR 2011, 1245; zustimmend Heuermann, StBp 2012, 327; kritisch zur Begründung Jochum, DStZ 2012, 728). Unter Hinweis auf die durch StEntlG 1999/2000/2002 auf 10 Jahre verlängerte Spekulationsfrist gemäß § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG habe der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel hin zu einer längerfristigen Erfassung von Wertänderungen im Vermögensbereich vollzogen. Vor diesem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung könnten nachträgliche Schuldzinsen nicht mehr aus dem steuerrelevanten Bereich ausgegrenzt bleiben.
Rn. 104
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Offen blieb zunächst, ob der BFH dies nur dahingehend verstanden wissen wollte, dass allein in den Fällen, in denen die Spekulationsfrist bei Veräußerung des WG noch nicht abgelaufen war, nachträgliche Schuldzinsen zum Abzug zugelassen seien (so BMF BStBl I 2013, 508; Haase, BB 2010, 2871). Insoweit hat jedoch der BFH v 08.04.2014, IX R 45/13, BStBl II 2015, 635 klargestellt, dass das Fortbestehen des Veranlassungszusammenhangs zu den früheren Einkünften nicht von der Steuerbarkeit eines Veräußerungserlöses abhängig ist. Die Gesetzesänderung war insofern Anlass, nicht Voraussetzung für eine Neuinterpretation des Veranlassungsprinzips.
Rn. 105
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Voraussetzung für einen Abzug der Schuldzinsen als nachträgliche WK ist aber
- zum einen, dass die Einkünfteerzielungsabsicht bis zum Zeitpunkt der Veräußerung der Immobilie fortbesteht (so BFH v 20.06.2012, IX R 67/10, BStBl II 2013, 275 unter II.4.). Gibt der StPfl die Einkünfteerzielungsabsicht bereits vor der Veräußerung auf – etwa weil er die Immobilie zunächst selbst nutzt –, ist der Veranlassungszusammenhang zwischen den früheren Einkünften und den Schuldzinsen bereits zu diesem Zeitpunkt entfallen und lebt durch die Veräußerung nicht wieder auf;
- zum anderen hat der StPfl den mit der Veräußerung erzielten Veräußerungserlös zur Tilgung der Verbindlichkeiten zu verwenden (Grundsatz des Vorrangs der Schuldentilgung). Nur für den verbleibenden Schuldenüberhang bleibt der Veranlassungszusammenhang zu der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit bestehen. Verwendet der StPfl die erlösten Geldmittel hingegen nicht zur Schuldentilgung, so beruhen die künftigen Schuldzinsen auf einer privat motivierten Verwendungsentscheidung und sind nicht mehr abziehbar.
Rn. 106
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Wegen weiterer Einzelheiten zum Abzug nachträglicher Schuldzinsen s Rn 355ff.
Rn. 107–108
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vorläufig frei